Missstände sind toll. Zumindest für Kabarettisten. Immerhin gibt es wieder etwas, worüber man sich aufregen kann, stellvertretend für das Publikum auf die Barrikaden kletternd, anprangernd, kämpfend, wütend. Aber aufklärend? So agieren nur wenige. Und wenn, dann nur selten mit Tiefgang. Ganz anders Anny Hartmann, die am Gründonnerstag im ausverkauften Pantheon Casino spielte: Die Zwangskölnerin belässt es nicht etwa bei Allgemeinheiten, sondern geht ins Detail, legt die Quelle so mancher Ungerechtigkeit offen – und bietet im besten Fall sogar Lösungsvorschläge.
So offenbart sie den Zusammenhang zwischen Schwarzarbeit und Versicherungspflichtgrenze, widerlegt ablehnende Äußerungen des IHK-Präsidenten Erik Schweitzers zur Vermögenssteuer mit simplen
Rechenmethoden, korrigiert Falschinformationen zum Thema Energiewende und offenbart, dass Tränengas zwar durch die Genfer Konvention in Kriegsgebieten verboten, bei Einsätzen der Polizei im
Inland aber durchaus erlaubt ist. Das alles leicht verständlich, souverän und mit so mancher bissigen Bemerkung.
Zugegeben, ab und zu nimmt der Vortrag der studierten Volkswirtin Schulcharakter an – aber immerhin gibt es für richtige Antworten aus dem Publikum Schokolade. Die Anreize stimmen also schon
einmal. Auch wenn es eher Politiker, Bänker und Manager sein müssten, die sich diese Täfelchen und Fleißpünktchen verdienen müssten. Allerdings sind manche Behauptungen Hartmanns auch mit
Vorsicht zu genießen: So verbreitet sie etwa, dass Golfplätze von der EEG-Umlage ausgenommen seien (was entsprechende Richtlinien und Listen des zuständigen Bundesamts für Wirtschaft und
Ausfuhrkontrolle widerlegen), sieht die IWF als Wurzel allen Übels in der dritten Welt und propagiert das bedingungslose Grundeinkommen als finanzierbares Modell zur Rettung der deutschen
Wirtschaft. Ebenfalls kritisch sind manche Äußerungen gegen Personen – dann nämlich schießt Hartmann nämlich gerne mal übers Ziel hinaus, zeigt polemische Tendenzen, die so gar nicht zu der sonst
so sympathischen, detailverliebten, präzisen Dozentin passen. Dafür gibt es keine Schokolade. Auch keine Marzipankartoffeln. Sondern Punktabzug. Eigentlich schade. Denn insgesamt ist Anny
Hartmann derzeit die einzige Frau, die mit politischer und wirtschaftlicher Kompetenz in der deutschen Kabarettlandschaft ernst genommen werden kann. Nur für das Sternchen an der Eins, da muss
sie noch ein bisschen für arbeiten.
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