Annett Louisan: Etikett kokett

Achtung versaut! Böses Mädchen! Will nur spielen, tut unschuldig und holt dann den verbalen Leder-Dress aus dem Schrank! So zumindest tut Annett Louisan, die jetzt in der Beethovenhalle ihr neues Album vorstellte, ganz gerne mal. Mit Lolita-Charme und kindlich-hauchiger Stimme legt sie los, veröffentlicht etwa plakativ das „Ding“ eines Mannes, der ihr zu plump daherkommt, im Internet, genießt diesen Akt der Demütigung – und ergibt sich einer Selbstinszenierung, die zu der 37-Jährigen nicht so wirklich passt, einem kontinuierlichen Kokettieren mit der Frivolität. Es ist ein Spiel mit Kontrasten: Auf der einen Seite die brave Tochter im schwarzen Kleid, niedlich und charmant, auf der anderen Seite auf Schulhofpeinlichkeiten setzend, Sack und Schwanz hauchend oder über den Fotzenhobel lachend, ein bayerisches Wort für eine Mundharmonika. Ha Ha Ha.

Natürlich gilt es hier zu relativieren: Annett Louisan ist eine Kunstfigur, eine, die von einer Rolle in die nächste springt, textlich von der furienhaften Verletzten mit Porno-Attitüde bis zur sich nach Kontinuität in der Liebe sehnender Träumerin schwankt, mal stark und selbstbewusst auftritt und dann wieder beschützenswert. Doch muss das wirklich alles sein? Dieses „Ding“? Oder die Bekenntnis, dass sie noch mit keinem ihrer Band-Kollegen Sex hatte? „Zu viel Information“, beklagt Louisan immerhin selbst im Titelsong ihres gleichnamigen Albums. Eben. Selbst mal drauf achten. Nicht alles muss ausgepackt oder rausgeholt werden. „Doch man braucht beide Welten, die heile und die geile“, erwidert die Sängerin in „Herrenabend“. Und will sich offenbar in beiden heimisch fühlen. Daher vermutlich die bemühte Suche nach verruchten und anstößigen Zeilen und die (letztlich scheiternden) Anknüpfungsversuche an die Liedtexte der 20er Jahre oder an die „Sünderin“ Hildegard Knef.

Von dieser Grande Dame interpretiert Louisan denn auch einen Song, das herrlich reduzierte „Papillon“ mit verträumten Cello-Passagen, ungeheuer melancholisch, überhaupt nicht anzüglich und vielleicht deshalb so überzeugend. Wenn nur die eigenen Stücke diese Qualität haben könnten. Doch zumindest dann, wenn Louisan nicht so bemüht der Laszivität hinterherjagt, zeigt sich, was wirklich in der zierlichen Sängerin steckt, wie Country-Pop, Balkan-Swing und Chanson zusammen funktionieren können. Ob es das kecke Lied über ihre Hass-Freundin Eve ist, ein Anti-Pärchen-Song, das herrlich wandlungsfähige „Fettnäpfchen-Wetthüpfen“ oder selbst das vom Publikum begeistert mitgetragene „Prosecco“, das Louisan kurzerhand in „Gin Tonic“ umwandelt – hier passt alles zusammen, das freche Mädchen mit dem bemerkenswerten Organ, das vor allem in den etwas lauteren Passagen den sonst herrschenden Schlafzimmerton gegen einen klaren Alt ersetzt, die possierlichen Texte, die solide Band. Geht doch. Allemal besser als die Cover-Version von Chris Isaaks „Wicked Game“: Zwar schlägt sich Louisan bei diesem Meisterwerk recht wacker, doch vor allem der Bass schleppt, die Gitarren-Soli wirken eher hilflos denn prägnant, es fehlt an Gefühl und Spannung. So bitte nicht.

Ihre Fans verzeihen Annett Louisan aber auch solche Fehlgriffe. Fröhlich so manche Zeile mitsingend lassen sie sich von der blonden Unschuld verzaubern, kommen gar am Ende zum Tanzen nach vorne. Und bringen diese mit stehenden Ovationen dazu, noch vier Zugaben zu geben. Darunter natürlich „Das Spiel“, ihren ersten Hit. Da ist es wieder, dieses Etikett „kokett“. „Ich will doch nur spielen. Ich tu doch nichts.“ Von diesen Zeiten ist Louisan inzwischen weit entfernt. 

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