„Nullzeit“: Psycho-Klamauk im Bann der Gezeiten

Frieden und Ruhe gibt es nur unter Wasser. Keine Absurditäten, kein Klamauk gelangt auf den Meeresgrund, zu dem drei der vier Charaktere aus Juli Zehs Roman „Nullzeit“ in der Inszenierung des Theaters Bonn immer wieder hinabtauchen. Momente der Erholung in einer ansonsten sehr kontrastreichen 100-Minuten-Fassung, die am vergangenen Samstag unter den Augen der Autorin ihre Welturaufführung erlebte – eine wilde Mischung aus Psychodrama und Trash, aus tiefsinnigen Analysen und oberflächlichen Späßen. Ein gewagter Zug, der der sonst doch recht ernst erzählten Vorlage an manchen Stellen durchaus dienlich ist, sie allerdings auch der Lächerlichkeit preiszugeben droht. Denn während die Figuren des Stücks gerade durch diesen Kontrast an Fallhöhe gewinnen, setzen Regisseur Sebastian Kreyer und Bühnenautor Bernhard Studlar doch auf etwas zu viel Irrsinn. Lachgas pur in der Nullzeit. Hat Hypoxie zur Folge.

„Nullzeit“, das ist die Zeitspanne, die man in einer bestimmten Wassertiefe bleiben kann, ohne beim sofortigen Auftauchen Schäden davonzutragen. Den scheinen, auch das ein Resultat der grellen Überzeichnung, alle vier Charaktere schon zu Beginn des Stücks statt erst an dessen Ende erlitten zu haben. Aussteiger Sven (Jonas Minthe), der von Deutschland angewidert nach Lanzarote zieht und dort zusammen mit seiner Freundin Antje (Sophie Basse) inmitten von Lavafeldern und Bauruinen eine Tauchschule eröffnet, fühlt sich nur unter Wasser wohl, dem letzten Fluchtpunkt. Bis Theo (Glenn Goltz) und Jola (Johanna Falckner) kommen und alles in den Abgrund reißen: Er ein erfolgloser, bitter-zynischer Schriftsteller, sie eine junge TV-Soap-Darstellerin mit blauem Blut und der Hoffnung auf die Rolle der Taucherin Lotte Hass, beide vereint in dem Streben nach Demütigung und Schmerz, um auf diese Weise überhaupt etwas fühlen zu können. 14.000 Euro für zwei Wochen Exklusiv-Service samt täglicher Tauchgänge (die übrigens mittels Video-Installation grandios in Szene gesetzt werden), das ist ihr Deal mit Sven. Doch als der sich in Jola verliebt, entwickelt sich eine perfide Dreier-Hassliebe, die in einem Mordversuch endet. Exzellentes Material für ein ernstes, emotional aufgeladenes Kammerspiel. Oder, wie in der Bonner Inszenierung, für ein mit jeder Menge Klamauk garniertem Zerrbild des selbigen.

Vor allem in Antje zeigen sich die Vor- und Nachteile der trashigen Szenen. Sie, die in der losen Beziehung mit Sven eher die Verliererin ist, wirkt zunächst wie eine Parodie einer lebenslustigen Frau, die vor keiner Peinlichkeit halt macht („hier habe nicht nur ich meine Regel, sondern die gelten für alle“, gefolgt von eben diesen in Liedform) – doch erst dadurch ähnelt ihr erster Streit mit Sven, ihr erstes Aufbegehren, ihre erste emotionale Wunde einer Offenbarung. So viel mehr steckt hinter der Fassade, so viel holt die nach kurzer Eingewöhnungszeit brillant spielende Basse aus dieser Figur heraus, dass sich Antje von einer Lachnummer zum Zugpferd entwickelt. Einzig Glenn Goltz' Theo läuft ihr den Rang ab: Diese herrlich sarkastische, schlagfertige, manipulative Gestalt, die genau zum richtigen Zeitpunkt nonchalant eine obszöne Spitze nach der anderen abschießt, erscheint zwar manchmal etwas überdreht, jedoch nie bemüht. Die Rollen von Jonas Minthe und Johanna Falckner schwächeln dagegen, bleiben statisch – doch während Sven, unter anderem dank Minthes eindrucksvollem Spiel, noch emotionalen Tiefgang besitzt, bleibt Jola ein wandelndes Klischee, ein sich mit Buttermilch übergießendes Pin-Up-Girl, dessen zunehmender Wahn auf der Bühne leider nicht in ausreichendem Maße zur Geltung kommt. Wie auch, wenn der Irrsinn ohnehin schon herrscht. So bleibt ein dramatischer Höhepunkt oder zumindest ein echter Zusammenbruch aus. Ein Psychodrama? Mitnichten – lediglich eine unterhaltsame Groteske. Ist ja auch was.

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