„Jedermann“: Grotesker Albtraum eines Mammon-Jüngers

Da liegt er, der arme reiche Jedermann, weinselig in seinem Rausch schlafend, während Gott und Tod links und rechts neben ihm sitzen, ihn für zu schwer befinden – und sein Leben zu einem Traum machen. Oder seinen Traum zu seinem Leben. Denn in der „Jedermann“-Inszenierung von Christoph Pfeiffer, die am vergangenen Mittwoch im Mini-Theater „Die Pathologie“ Premiere feierte, mutiert das Mysterienstück Hugo von Hofmannsthals zu einem grotesken Nachtmahr, in dem der namensgebende Großgrundbesitzer und Mammon-Jünger von mephistophelisch-calibanesken Mächten geplagt und beinahe um den Verstand gebracht wird. Ein reizvoller Ansatz, der sowohl die gekünstelte, mittelhochdeutsch gefärbte Sprache mit ihren bemüht gereimten Knittelversen als auch so manche Überzeichnung verzeiht.

In der drastisch reduzierten, auf eine Stunde heruntergekürzten Pathologie-Fassung spielt Enne Malzburg den Jedermann als lebenslustigen, Wein, Weib und Gesang zugeneigten Neureichen, der durch den kontinuierlichen Schabernack von Gott und Tod (der sich in der Regel auf bewegende Geldsäckel beschränkt) zunehmend verstört wird. Der Wandel vom selbstbewussten Individuum zum seelischen, einsamen Wrack, das letztlich den Schöpfer um Gnade anfleht, gelingt dabei hervorragend – Malzburg dröhnt und wimmert, jauchzt und deklamiert mit sichtlichem Genuss, während er sich mal nach links, mal nach rechts orientieren muss, wo nach und nach die verschiedenen Nebenfiguren ihre Aufwartung machen. Für diese sind Ruth Schiefenbusch und Guido Grollmann zuständig, die mit einigen wenigen Accessoires das Mütterchen, einen Schuldner, rattige Vettern und den sardonisch grinsenden, in seiner Übertreibung fast schon tuntig wirkenden Sensenmann auftreten lassen. Dabei schießen sie allerdings an ein paar Stellen leicht über das Ziel hinaus: Weder die Buhle mit klischeehaft russischem Akzent noch der obszöne Teufel mit aus dem offenen Hosenstall hängendem Plastik-Genital und langer Peitsche erscheinen, bei allem Verständnis für den alptraumhaften Charakter der Inszenierung, angemessen und drohen vielmehr, das Stück unnötig der Lächerlichkeit preiszugeben.

 

Dass genau dies nicht geschieht, ist ein Glücksfall – zu überzeugend wirkt die Aufführung in anderen Momenten, zu unterhaltsam ist etwa der diabolische Ton des „Jedermann“-Weckrufs mit seinen schier endlos gerollten Rs. Oder die exzellente Auflösung des ganzen Szenerie, nachdem Glaube und Teufel genug um die Hauptfigur gerungen haben: Da kippt sich Malzburg kurzerhand einen Sektkühler voller Wasser über den Kopf, um Dämonen und Kater gleichermaßen zu vertreiben, im Halbschlaf die Moral von der Geschicht' lallend. Dass so jemand das Glaubensbekenntnis, das er im Albtraum voller Furcht um seine Seele ablegte, auch im wirklichen Leben wiederholt, sich ändert und kurzerhand dem Golde abschwört – das scheint dann doch sehr unwahrscheinlich. 

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