Piet Klocke: Etikettenschwindel eines liebenswerten Chaoten

Dass Piet Klocke etwas verwirrt wirkt, vieles an- und nichts zu Ende bringt, ist essentieller Bestandteil seiner chaotischen Bühnenfigur Professor Schmitt-Hindemith. Dass dies nun aber in die Realität ausstrahlt, ist neu – und eine ziemliche Frechheit obendrein. Denn das angekündigte „neue Programm“ des Komikers entpuppt sich im Bonner Pantheon als eine nur rudimentär polierte Kopie seines seit 2009 laufenden „Das Leben ist schön – gefälligst!“, bei der die wirklichen Innovationen an einer Hand abgezählt werden können.

Ein Etikettenschwindel also, ein dreister Betrug am Publikum, das sich zwar köstlich über das gewohnt chaotische Satzgefüge Klockes amüsierte, aber deutlich mehr verdient hätte als einen laufen Aufguss inzwischen hinlänglich bekannter Sprüche über die Irrwege der Evolution, Geschlechterrollen im Mittelalter und die Entwicklung der Jazz-Musik.

Der in weiten Teilen identische Ablauf irritiert um so mehr, als Klocke eigentlich eher Anhänger des umtriebigen Chaos denn der beständigen, sich ewig wiederholenden Ordnung ist. Doch vor allem die Dialoge mit der musikalischen Begleiterscheinung Angelika Kleinknecht (Simone Sonnenschein) – beziehungsweise jene Hälfte, die das Publikum zu hören bekommt – scheinen keinen Raum für Variation oder gar Improvisation zu bieten. Erneut protestiert dieses unscheinbare Persönchen, das bis zu ihrem sechsten Lebensjahr von Pelikanen großgezogen wurde, gegen den Verzehr von Schnabeltieren, lässt Klocke aus ihrer Jazz-Historie vorlesen (die bei letzterem zur Hysterie führt), zaubert grandiose Melodien aus Saxofon oder Querflöte und übernimmt kurzzeitig, mit entsprechendem Anzug und roter Haarpracht, die Rolle des schlaksigen, charmant-verwirrten Professors Schmidt-Hindemith. Gut, aber eben alt.

Klocke selbst setzt nur marginal neue Akzente, die zu halbgaren Andeutungen verkommen. Statt größeren Ausführungen über die Psyche – einem Feld, in dem der 56-Jährige mit Sicherheit brilliert hätte – bleibt es bei dem mehrfachen Erwähnen des Wortes. Das Publikum denkt sich, wie bei dem wandelnden Anakoluth üblich, den Rest, auch wenn Klocke immer wieder fordert: „Lassen Sie mich kurz eine Sache zu Ende.“ Was nie funktioniert, bei gewissen Ideen aber hätte hilfreich sein können. Wäre mal was Neues gewesen. Stattdessen muss wieder einmal die Hummel als Paradebeispiel für die Konstruktionsfehler der Evolution herhalten (anstatt vielleicht einmal auf Giraffen in der Steppe einzugehen, oder auf Chihuahuas); dazu kommen banale Radiowerbeclips für Achselhaartönung und Intimzonen-Schmieren, Visier-Kämpfe und ekstatische Hip-Hop-Tänze. Warum? „Was interessiert mich das Ziel, wenn es so viele schöne Wege gibt“, sagt Klocke irgendwann und gibt damit sein Lebens- und sein Rede-Motto preis. Klingt gut. Wenn er denn tatsächlich einmal von den festgestampften Pfaden abweichen und sich im Unterholz neu orientieren würde, könnte man ihm das fast abkaufen.

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Eberhard Schön (Samstag, 27 August 2016 10:05)

    Thomas Kölsch sollte beim Bier bleiben (um es einmal bracchial-klamauk zu beschreiben). Dass er Piet Klocke nicht leiden kann, nimmt ihm niemand übel. Dann bleibt man aber doch zuhause oder geht ins Schwimmbad?! Der Begriff "Kritischer Kulturjournalismus" ist allerdings bereits Krönung genug.

  • #2

    Thomas Kölsch (Samstag, 27 August 2016 10:12)

    Sehr geehrter Herr Schön,

    warum sollte ich denn zu Hause bleiben? Mal davon abgesehen, dass ich Piet Klocke grundsätzlich sehr schätze, ist es eben Aufgabe eines Kulturjournalisten, auch mal Mängel aufzuzeigen - wenn Sie ausschließlich positive Berichte lesen möchten, unterscheidet sich Ihr Verständnis von "Kritik" aber offenbar maßgeblich von meinem.

  • #3

    Westley (Dienstag, 20 Juni 2023 10:01)

    "Das Leben ist schön - gefälligst" war ja nun auch nur ein lauer ("laufer"?) Aufguss von Klockes Urprogramm "Das geht alles von Ihrer Zeit ab" aus den frühen 90er-Jahren. Als die Monty Pythons erstmalig auf Tour gingen, in den 70er-Jahren, waren sie entsetzt, ein Publikum vorzufinden, das ihre Texte mitsprach. Der laue Aufguss war für die Fans ein Neuerleben, wegen dem sie überhaupt erst gekommen waren. Hätten die Pythons nicht großflächig ihre Flying-Circus-Sachen reproduziert, die Fans wären enttäuscht gewesen. Ich hoffe, ich kann das "neue" Programm Klockes ("Am Hofe King Crimsons" 2023) irgendwann live sehen, und ich habe die dringende Hoffnung, dass es ein lauer Aufguss ist, Simone Sonnenschein mit Saxofon an Hindemiths Seite sitzt, lautlos protestierend, irgendwas mit der Mundharmonika kaputt ist, Sonnenschein mit den drei Gängen nach Hause fahren muss und jeder Lacher von meiner Zeit abgeht.