Dieter Nuhr: Der ganz normale Irrsinn unserer Traumwelt

Das Leben ist ein Traum. Es muss ein Traum sein. Und zwar oft genug einer von der schlimmen Sorte. Anders ist dieser Wahnsinn nicht zu erklären, der vor allem in Deutschland herrscht: Überall Gesetze, Verordnungen und Einschränkungen, die dermaßen übertrieben sind, dass sie jeglichen Spaß am Leben nehmen. Das hat Dieter Nuhr, der am vergangenen Mittwochabend auf Einladung des Hauses der Springmaus mit seinem neuen Programm „Nuhr ein Traum“ in der Beethovenhalle gastierte, immer wieder offen gelegt, zur Freude der Zuschauer.

Denen das Lachen wahrscheinlich einen Tag später im Halse stecken geblieben sein dürfte, als bekannt wurde, dass die Klangwelle aus Angst vor möglichen Lärmbelästigungsklagen zweier Anwohner künftig nicht mehr in der Bonner Innenstadt stattfinden darf. Ist irgendwie doof, wenn man feststellen muss, dass man jetzt auch schon in Nuhrs Alptraum lebt...

Wenn es nach dem dennoch gut gelaunten Nuhr geht, schütteln die Bürger bei all dem nur den Kopf, bleiben sonst aber gelassen. Empörung ist nicht das Ziel, ist schließlich kein Kabarettabend. Andererseits hat der 53-Jährige selbst die Nase voll vom allgegenwärtigen Jammern und Klagen. „Ich sehe die Welt nicht als Sterbehospitz“, sagt er. Andere anscheinend schon. Vor allem in Deutschland. „Uns geht es doch gut“, führt Nuhr an: seit 70 Jahren Frieden in ganz Europa, freie Meinungsäußerung (da sind andere Kontinente noch lange nicht so weit), auch die Kriminalität, die Arbeitslosigkeit und der Hunger sind im Vergleich zu anderen Regionen der Erde einigermaßen im Lot. „Ich will diese Probleme nicht kleinreden, aber wir leben hier in einer Insel der Zivilisation“, erklärt der bekennende Humanist. In der, wenn es keine großen Probleme gibt, eben kleine gemacht werden. Ungestreute Waldwege, Aggressivität durch Fleischverzehr (siehe der Kannibale von Rothenburg), marode Krötenübergänge, Lärmbelästigung in der Innenstadt, irgendwas ist immer. „Für uns ist das Leben immer nur Bedrohung, nie Chance“, führt Nuhr aus. „Ich möchte einmal in der Zeitung lesen, dass etwas in Ordnung ist.“

In seinem semi-philosophischen Diskurs, bei dem er Platon, Descartes und Micky Krause gleichermaßen würdigt, spart Nuhr nicht an schwarzem Humor. Dabei schießt er zwar manchmal über das Ziel hinaus („Ich gucke gerne 'Bauer sucht Frau' und rate mit: Wer ist Bauer, wer ist Frau und wer sind die Tiere?“), verleiht den sonst nicht unüblichen Comedy-Themen allerdings zugleich eine besonders scharfe Note. Gut so. Zumal der Mann mit dem charmant-neckischen Grinsen eine gute Mischung aus Politik- und Gesellschaftskritik sowie harmloseren Aspekten im Programm hat. Einer der Höhepunkte dürfte das Nuhrsche Porno-Drehbuch sein, aber auch seine Statistik-Ergebnisse vermögen nicht nur ADAC-Mitglieder zu verblüffen. Zwei verschiedene Träume, beide gleichermaßen absurd und doch erschreckend nah an dem, was wir für Realität halten. Ob die auch nur eine Ausgeburt unserer Phantasie ist? Können wir uns überhaupt solche Verrücktheiten ausdenken? Und was passiert, wenn wir aufwachen? Sehen wir dann, so stellt Nuhr es sich vor, Gott als modernen Sensenmann mit Feinripp-Unterhemd und Aufsitz-Rasenmäher und Willy Millowitsch als neumodischen Fährmann, fröhlich „Schnaps, das war sein letztes Wort“ singend? Das wäre bedenklich – und der Traum auf einmal doch gar nicht so schlecht. Es könnte schließlich immer noch schlimmer kommen.

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