Serdar Somuncu: Provokation außer Rand und Band

Er hat keine Lust mehr auf Comedy, auf Massenunterhaltung, auf Asoziale im Publikum, die nur nach der nächsten Beleidigung gieren – nein, Serdar Somuncu, das enfant terrible der deutschen Kleinkunstszene, will lieber einen Schritt zurücktreten, lieber vor 300 Leuten im Pantheon als vor 900 im Brückenforum spielen und dabei auch noch seiner zweiten Leidenschaft, der Musik frönen. Doch wie sich am vergangenen Mittwoch zeigte: Mit einem Neuanfang hat das neue Programm „Sexy Revolution“ relativ wenig zu tun. Dafür leider viel mit einem Niedergang.

Bereits seit einigen Jahren bricht der selbsternannte „Hassprediger“ und „Hassias“ verbal mit jedem Tabu, beschimpft das Publikum und pflegt eine Sprache, die zumindest in ihrer offenkundigen sexuellen Ausrichtung selbst manchem Gangsta-Rapper peinlich wäre. So wie einst Ingo Appelt greift Somuncu tief in die Schublade der Vulgarität – und ist, ähnlich wie einst Appelt, inzwischen zum Zerrbild seiner selbst geworden. Denn die Provokation läuft ins Leere, mehr noch, sie wird zu ihrer eigenen billigen Parodie, weitgehend befreit von den tiefsinnigen Hintergedanken, mit denen Somuncu zu Beginn seiner Karriere noch zu punkten verstand. Wenn er nun jedoch einen Blues über den Geruch der Klitoris singt, Spielerfrauen zu „Arschgesichtern“ degradiert oder den Saal dazu aufruft, seine Scheiße zu fressen, geschieht genau das, was der Provokateur an anderer Stelle kritisiert: „Das Wort verkommt zur pointenlosen Waffe“, die Bushido-Kritik wird zur Bushido-Kopie.

Bei einem anderen Thema verkauft „Mister SS“ sich deutlich besser: Die Nazi-Problematik, mit der er sich ja auch schon seit Jahren auseinandersetzt, versteht Somuncu weiterhin gekonnt aufzuarbeiten. „Neukölln ist überall – Zwickau auch“, sagt er und wird für einen kurzen Moment wirklich ernst. „Wir müssten unser gesamtes Leben zu einem Gedenkleben wandeln, um den Opfern gerecht zu werden“ – ein guter Punkt. Leider einer der wenigen. Die differenzierte Kritik an gesellschaftlichen Phänomenen, egal ob am rechten oder am linken Rand, hat der Bullterrier des Kabaretts deutlich heruntergefahren, setzt mehr auf eine pornographische Sexualität, die sich wie ein roter Faden durch das Programm zieht und in dieser Vehemenz letztlich langweilig ist, so gut sie auch von der exzellenten Band und der überzeugenden singenden und rappenden Rampensau Somuncu (sein im zweiten Teil des Konzerts ebenfalls auf der Bühne stehender Co-Produzent Onkel Zwieback lässt dagegen sowohl Rhythmus als auch Charisma vermissen) musikalisch umgesetzt wird. Richtig gut wird es aber nur dann, wenn Obszönitäten ausnahmsweise entfallen, etwa in der Vertonung von Romeos Liebesansprache an Julia oder dem tollen Song „Bitte bleib bei mir“. Geht doch.

So fragwürdig manche Passagen der „Sexy Revolution“ auch sind: Wer freiwillig zu Serdar Somuncu kommt, weiß in etwa, was ihn erwartet. Richtig peinlich wurde es aber, als dieser sich das Handy eines jungen Mannes in der ersten Reihe schnappte, dessen Vater anrief (ja, manchmal hat man sogar im Pantheon Empfang) und den völlig irritierten Herren in gewohnt unflätiger Weise beschimpfte. Was sollte diese verbale Vergewaltigung denn beweisen? Kritische Analysen, eine Botschaft oder zumindest der Ansatz von Witz fehlten in diesem Moment völlig. Das war nur noch Provokation um der Provokation willen – und Serdar Somuncu zumindest in diesem Moment nicht besser als all jene, gegen die er eigentlich vorgehen will. Er wird zum Judas seines eigenen Hassias. Und das ist der schlimmste aller nur denkbaren Abstürze.

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