Charles Bradley: Blutjunge Rocker und der Prediger der Liebe

Es gibt ein geflügeltes Wort: „Sein Herz auf der Zunge tragen“. Ehrlich sein, authentisch, sein Innerstes ausschüttend. Die reinste Inkarnation dieses Sprichworts hat am vergangenen Samstag in der ausverkauften Harmonie die Massen berührt: Charles Bradley, der Prediger der Liebe, öffnete bei seinem Konzert im Rahmen des WDR Crossroads-Festivals die Tiefen seiner Seele, jeder Song ein Bekenntnis, eine Offenbarung im wahrsten Sinne des Wortes. Und nur zum Teil hat das etwas mit der Geschichte des 64-Jährigen zu tun, der erst vor zwei Jahren sein Debüt-Album veröffentlichte.

Dieser vom Leid geplagte Mann, der schon als Jugendlicher auf der Straße lebte, der alle Tiefen menschlichen Daseins kennengelernt hat, hat mehr Soul im kleinen Finger als viele andere in ihrem gesamten Körper. Und nun lässt er all das raus. Als er etwa in der Harmonie „How long must I keep going on“ anstimmte, mit unglaublicher Kraft, seinem Idol James Brown nacheifernd, ins Mikrofon röhrte, lasziv die Hüften schwang und sich so sehr verausgabte, dass er für seinen exzellenten Extraordinaires Zeit für ein Instrumentalstück geben muste, blieb selbst gestandenen Rock-Fans die Spucke weg. Und als Bradley, der „Screaming Eagle of Soul“, nassgeschwitzt bei „Let love stand a chance“ ins Publikum hinunterstieg und jeden in Reichweite umarmte, war der Abend perfekt.

So wie Bradley nutzt auch die erste Band am Samstag das Singen als Heilmittel: Goodbye June hat sich ursprünglich zusammengefunden, um mit dem Tod ihres gemeinsamen Cousins Shane klarzukommen. Nur dass in diesem Fall harter Rock als Ventil dient. Drei Gitarren sorgen für den dafür nötigen Druck, was sich etwa bei „Out of your mind“ bezahlt machte. Dabei können die Amerikaner auch leiser, feiner, differenzierter spielen: „Lady Luck“ ist eine schöne Ballade, in der Sänger Landon Milbourn mit seinem gerne in die Höhen vordringenden Organ zeigte, dass er auch mit angezogener Handbremse überzeugen kann. Kein Zweifel, Goodbye June bieten mehr als nur klassischen Garagen-Rock, wandern auch mal in psychedelischen Gefilden, um dann wieder in Ansätzen stilistisch an den Hardrock von Guns n' Roses oder Aerosmith zu erinnern.

Nicht minder deftig ging es am Freitag in der Harmonie zu. Große Begeisterung erfuhren vor allem die blutjungen Blues Pills, die von einigen schon als neue Hoffnung des Rock gesehen wurden. Obwohl die Band um die langhaarige, sich stimmlich an Janis Joplin anlehnende Elin Larsson und den wirklich herausragenden 17-jährigen französischen Gitarristen Dorian Sorriaux bislang noch keine CD auf dem Markt hat, gilt sie mit ihrer Mischung aus Bluesrock-, Psychedelic- und Metal-Elementen bei vielen Besuchern als DIE Formation des Festivals. Vor allem das junge Publikum war begeistert, ließ unter anderem bei der Zugabe „Black Smoke“ in bester Headbanging-Tradition die Haare fliegen, während Sängerin Larsson, am Ende des gut einstündigen Auftritts völlig erschöpft, das Letzte aus ihrer Stimme herausholt. Daran muss sie sich wohl gewöhnen: Die Erwartungen an die Band sind auf jeden Fall enorm. Jetzt müssen die Blues Pills liefern.

Damit hatten The Durango Riot keine Probleme. Ihr harter, stark vom Punk beeinflusster Rock ist gradlinig, ohne dabei langweilig zu wirken, und hat ordentlich Kraft, ohne aber innovative Ansätze völlig zubetonieren zu wollen. Im Gegensatz zu vielen anderen Bands, die derzeit auf der Retro-Welle reiten, versuchen The Durango Riot nämlich nicht, die Musik der 70er einfach zu kopieren, lassen sie zwar immer durchschimmern, behalten aber dabei die Oberhand, geben die Richtung vor – und machen das erfreulich gut. Ob das mit treibenden Tribal-Toms startende „Full Moon Music“ oder das offensichtlich von den Doors inspirierte „Drivers“, bei dem die Schweden vorübergehend einen Gang zurückschalten: Diesem Aufstand hört man gerne zu.

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