Nachtwerk: Totengesang für einen Trash-Kult

Hauptsache schräg, absurd, völlig durchgeknallt – das ist das Geheimnis der „Nachtwerke“, in denen Schauspieler und andere Mitarbeiter des Theaters Bonn so ziemlich alles persiflieren durften, was ihnen vor die Nase kam, ob Kleists „Der zerbrochne Krug“, „Star Wars“ oder Nosferatu-Darsteller Bela Lugosi. Mit dieser Mischung aus Geniestreich und Wahnsinn haben die „Nachtwerke“ Kultstatus erreicht. Doch mit dem Ende der Spielzeit ist auch das Aus für die Trash-Reihe gekommen, die Akteure müssen sich aufgrund des Weggangs von Generalintendant Klaus Weise nach neuen Jobs umschauen. Ein einziges Aufbäumen gegen die Normalität ist noch gestattet: Die Beisetzung des skurrilen Geschmacks wird am 12. Juli stattfinden. Dann kommt der „Werkuntergang“, eine Trashokalypse epischen Ausmaßes.

Am Anfang stand die Idee der inzwischen nicht mehr im Haus angestellten Schauspieler Philine Bührer und Oliver Chomik, genau das zu machen, was schon immer mal auf einer Bühne gemacht sein wollte: Liederabende und szenische Lesungen, Anspruch und Unsinn. „Aus dem 'Lexikon des frühen 21. Jahrhunderts' [...] lesen, singen, tanzen Schauspieler Ihnen Begriffe wie Flatrate, FlipFlop, Folter und ver.di, voipen, Vollerotik“, hieß es in der Ankündigung zum ersten Nachtwerk im Oktober 2009 unter der künstlerischen Leitung von Jens Kerbel (inzwischen hat diese Aufgabe Nadine Scheck übernommen). Im Laufe der Zeit hat sich das Konzept etwas gewandelt, ist zwar weiter offen, erinnert aber inzwischen eher an ein Theater zwischen Ed Wood, Helge Schneider, Mel Brooks und Monty Phython, ohne sich allerdings darauf beschränken zu wollen. „Das Nachtwerk bietet uns die Möglichkeit, keiner fremden Ästhetik folgen zu müssen, sondern die Zuschauer mit unserer eigenen zum Lachen zu bringen“, sagt Lea Charlotte Ibald, die ab und zu als Regieassistentin mit von der Partie ist. Und ganz wichtig: Nicht die Logik diktiert die Handlung, sondern der Spaß. So saß etwa Ingo Piess in der letzten Aufführung als recht leiser Vampir in einer heruntergekommenen Imbissbude und mutierte auf einmal zum wild gackernden Huhn. Warum? „Die beiden Rollen wollte ich schon immer einmal spielen“, erklärt der Dramaturg grinsend. Reicht als Begründung. Immerhin ist es genau das, was viele Theaterschaffende an den „Nachtwerken“ so begeistert. Einfach mal Zwänge und Erwartungshaltungen durchbrechen und einen Schuss Anarchie auf die Bühne bringen. „Das ist eine Art Sucht“, sagt Schauspielerin Anastasia Gubareva. „Wenn man einmal drin ist, kommt man nicht so leicht wieder raus! Diese Reihe hat eine Freiheit, die sonst im Theater selten möglich ist.“

Doch hinter dem ganzen Wahnsinn steckt Methode. Maximal zwei Wochen vor dem Nachtwerk treffen sich die Beteiligten zum ersten Mal, sammeln Ideen, schlagen kleine Nummern vor, die schließlich irgendwie zusammengebracht und in einem inhaltlichen Gerüst verankert werden müssen. Kreativität unter Zeitdruck – auch Trash will schließlich geplant werden. Am Tag der Aufführung investieren die Akteure noch bis zu zehn Stunden in Proben und Feinarbeit, feilen an Szenen und Gags, an Timing und Text. „Wir dürfen ja mittlerweile fast alles tun und sagen, niemand würde dem Nachtwerk etwas übel nehmen“, weiß Gubareva – so lange die Form stimmt. Absurdität ist Trumpf, Subversivität und Parodie gehen damit Hand in Hand. Diese Kombination macht die Nachtwerk-Aufführungen, die jeweils um 22 Uhr beginnen, für viele zu einem besonderen Erlebnis: Die letzten Programme waren immer ausverkauft. 

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