Zwei junge Frauen mit rotem Irokesen-Haarschnitt begeistern am Doppeltrapez, ein goldfarbenes Trio zeigt spektakuläre Hebefiguren, ein schwarz-weiß gekleideter Mann faltet sich selbst zusammen und rutscht durch eine Art Ofenrohr: Das neue Programm des Circus Roncalli mit dem Titel „Time is Honey“, das nun vor der Beethovenhalle in Bonn zu sehen ist, verzaubert im Sekundentakt. Atemberaubende Akrobatik trifft auf klassische Clownerie – und lässt vor allem der nächsten Generation der Artisten viel Raum.
Circus-Direktor Bernhard Paul hat ohnehin ein Händchen dafür, aufregende Künstler zu entdecken und zu fördern. So wie Michael Ortmeier: Den 28-Jährigen sah Paul durch Zufall bei einer „Wetten,
Dass...“-Sendung, in der dieser über Flaschen balancierte und von einem Circus-Auftritt träumte. Sofort griff Paul zum Telefon und bot dem Bayer einen Job an – denn diese fast 200 Jahre alte und
nur von wenigen beherrschte Nummer wollte der Roncalli-Chef schon lange einmal präsentieren. Nun eröffnet sie in poetischer Form „Time is Honey“ und gibt den Startschuss für eine atemberaubende,
perfekt durchchoreographierte Show.
Oft bestaunt das Publikum Artisten mit einer phänomenalen Körperbeherrschung. So setzt sich Schlangenmensch Andrey Romanovsky kurzerhand in einer Art Klappmesser-Stellung in einen Schornstein,
nimmt mit seinen Füßen seinen Hut ab und rutscht dann das enge Rohr hinab, um dann in extremen Verrenkungen, auf den Händen stehend, mit sich selbst Seil zu springen. Auch die Goldmenschen des
Trio Laruss (Norbert Russnák, Ildikó Russnákné Bátori und Edit Kósni) begeistern mit ihrer kraftvollen Körperkunst, mit ihren Stemm- und Hebefiguren. Und der ehemalige bulgarische Landesmeister
der Sportakrobatik, Encho Keryazov, bietet eine Handstand-Performance der Superlative.
Zugleich ist es der Abend des Nachwuchses. Geraldine Philadelphia, die bezaubernde 18-jährige Tochter von Roncalli-Betriebsleiter Patrick, jongliert mit Reifen, Jemile Martinez, Circuskind der
dritten Generation, mit Fußbällen. Großartige, umjubelte Auftritte. Doch zumindest für Bernhard Paul dürfte eine Nummer ein besonderer Höhepunkt sein: Erstmals stehen seine drei Sprösslinge
Vivian, Adrian und Lilian gemeinsam in der Manege, mit einer über zwei Jahre heimlich einstudierten Rollschuh-Darbietung, bei der die attraktiven Mädchen in ihren heißen Outfits wild im Kreis
herumgeschleudert werden, die Fliehkraft und ihre Gelenkigkeit ausnutzend, von ihren Partnern (neben Adrian Paul ist auch Jemile Martinez mit von der Partie) gehalten und angetrieben. Eine tolle
Leistung.
Natürlich gehören zum Roncalli-Team nicht nur exzellente Akrobaten, sondern auch Pferdeflüsterer Karl Trunk (unter anderem mit zwei Minishetlandponys und dem riesigen Shire Horse Sunny) sowie
hervorragende Clowns. Immerhin ist Leiter Bernhard Paul alias Zippo selbst seit Jahren in diesem Metier tätig. Und so lockern fünf verrückt-komische Typen immer wieder Umbaupausen mit ihren
Späßen auf, das skurrile Trio Oriol, Gensi und Devlin sowie die KGB-Clowns Eddy und Sergey. Mal wird eine Hochzeit gefeiert, dann wieder der erstklassigen Circus-Band unter der Leitung von Georg
Pommer Konkurrenz gemacht. Besonders köstlich ist die Nummer, in der Sergey, der übrigens wie viele andere auch von Bernhard Paul entdeckt und gefördert worden ist, als unsicher stehende,
unkontrollierbare Napoleon-Marionette seinen Kollegen Eddy schier um den Verstand bringt. Ein Klassiker, aber brillant umgesetzt. So wie eigentlich alles im Circus-Programm. Ein Besuch bei
Roncalli lohnt sich daher auf jeden Fall. Denn die zweieinhalb Stunden im Zelt sind tatsächlich Honig für die Seele.
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