Häufig beginnt es leise. Cool. Nordisch-spröde. Typisch Tingvall Trio. Feine Balladen-Ansätze mit schönen Piano-Melodien, einem dezenten Schlagzeug und einem leicht pulsierenden Bass. Bis dann die Explosion erfolgt, der musikalische Vulkanausbruch, in dem Drummer Jürgen Spiegel mit einem wahnwitzigen Wirbel Tempo und Lautstärke in neue Höhen treibt, Omar Rodriguez Calvo in die Saiten haut und Trio-Chef Martin Tingvall sich am Flügel in Ekstase spielt, scheinbar ungezügelte Wildheit ins Publikum entlässt, nur um sie im richtigen Moment wieder einzufangen, zu bändigen, zu zähmen. Der Troll muss vom Tanzplatz, jetzt sind wieder die Elfen dran. Vorübergehend, natürlich. Ein Abend voller Extreme, der am Donnerstag sehr zur Freude vieler Modern-Jazz-Fans in der Bonner Harmonie erfahrbar war.
Das Tingvall Trio gehört derzeit zu den größten Namen in der deutschen Jazz-Szene, nicht zuletzt seit dem Erfolg des Albums „Vägen“, mit dem sich die drei Wahlhamburger 2012 gleich zwei
Jazz-Echos erspielten. Ihre Mischung aus spielerischer Leichtigkeit und hochkomplexen Arrangements kommt gut an – so gut, dass Martin Tingvall jetzt für „Vägen“ sogar ein Notenbuch anbietet,
falls jemand die Stücke nachspielen will. Als ob sich so das Mysterium des Trios erklären und kopieren ließe. Das Geheimnis liegt wohl eher in der inzwischen zehnjährigen Zusammenarbeit begründet
und dem sichtlichen Spaß, den die drei auf der Bühne haben. Das Trio selbst spricht zudem immer auch die Internationalität an: Tingvall ist Schwede, Bassist Calvo Kubaner, Spiegel Deutscher.
Skandinavische Folklore, Latin-Rhythmen und klassischer Rock also. „Wir sind eigentlich sehr verschieden, auch musikalisch ganz unterschiedlicher Herkunft, reiben uns öfters mal aneinander, und
das macht unsere Besonderheit aus“, erzählt Tingvall gerne in Interviews. Dennoch gelingt es dem Trio, eine Ausgewogenheit herzustellen – jeder darf mal die Führung übernehmen, in Stücken wie
„Mustasch“ auch Drummer Spiegel, während der gerne mal leise mitsingende Tingvall mit repetitiven Patterns das Fundament legt. Dafür ist er an anderer Stelle die Lichtgestalt, etwa im
wunderschönen Titelsong „Vägen“, dem Heldenlied „Hjälten“ oder der Minisuite „Trolldans/Monster“, in der sich allerdings jeder der drei Jazzer austoben kann.
Neben den bereits etablierten Kompositionen der bislang vier Studioalben setzt das Tingvall Trio seit einigen Jahren auf Live-Experimente. So auch in der Harmonie. „Wir wollen mal ein paar neue
Stücke ausprobieren“, gesteht Martin Tingvall dem Publikum zu Beginn des Konzerts. Stücke, die vor Publikum getestet und nach und nach entwickelt werden, um sie dann im kommenden Jahr auf CD zu
pressen (die Bonner CD-Präsentation ist bereits auf den 9. Mai 2014 festgelegt). „Skugga“ etwa, das Schattenlied, oder das faszinierend herumgeisternde „Spökskepp“. Ginge es nach dem Bonner
Publikum, könnten die Titel bereits jetzt veröffentlicht werden. Doch so müssen die Fans noch etwas auf neue abgedrehte Vulkanausbrüche und Trolltänze warten.
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