Peter Sloterdijk: Kriegsergebnisfälschung und Napoleonverehrung

Die neuere Geschichte zwischen Deutschland und Frankreich beginnt laut Peter Sloterdijk 1757 mit der Schlacht von Roßbach, als eine 22.000 Mann starke preußische Armee eine fast doppelt so starke französische Streitmacht souverän besiegte und damit ein neues deutsches Nationalbewusstsein erweckte. Alle huldigten Heerführer Friedrich II. – auch die Pariser Intellektuellen wie etwa Voltaire, die die Niederlage kurzerhand für ihre Zwecke umdeuteten. Ein Schema, das sich wiederholen sollte, wie Sloterdijk am vergangenen Dienstag in den Kammerspielen Bad Godesberg im Gespräch mit Manfred Osten darlegte.

Wobei Gespräch eigentlich der falsche Begriff ist: Zwar versuchte Osten, sich als Dialogpartner auf Augenhöhe zu etablieren, stieß dabei aber bei dem Karlsruher Philosophen auf taube Ohren und musste sich letztlich mit der Rolle des Stichwortgebers zufriedengeben, während Sloterdijk chronologisch von einem Krieg zum nächsten weiterging, mit feinem Witz die gesellschaftlichen Verhältnisse in Versailles und die Vorbildfunktion Napoleons sezierte und schließlich am Ende des Zweiten Weltkriegs die Etablierung Frankreichs als Siegermacht als Kriegsergebnisfälschung bezeichnete. Denn es seien die Alliierten gewesen, die die realen Kriegslasten für die Franzosen getragen hätten – „bis zu jener unvergesslichen 'Libération' am 25. August 1944, als de Gaulle an der Spitze improvisierter eigener Truppen einen triumphalen Einzug in Paris hält.“

Sloterdijk gelang es dabei, mit seiner poetischen Sprache und zahlreichen Anekdoten die Zuhörer der gut besuchten Kammerspiele in seinen Bann zu ziehen. Allerdings wäre eine echte Diskussion über seine Thesen deutlich spannender und ergiebiger gewesen – ebenso wie ein Bezug auf die in der Veranstaltungsankündigung genannten Fragen zur Gegenwart, zum deutsch-französischen Verhältnis in der Eurokrise, zu den unterschiedlichen Lösungsansätzen und zu der von Sloterdijk propagierten Beziehungslosigkeit. Doch mit Ausnahme von Nicolas Sarkozy, den Sloterdijk spöttisch für einen Wiedergänger von Napoleon III. hält, schwieg der Philosoph zur aktuellen Situation. Vielleicht schon deswegen, weil das als neu angepriesene Buch „Mein Frankreich“, das mit der Lesung beworben werden sollte, lediglich eine Sammlung älterer Essays darstellt, aus denen wiederum ausschließlich die „Theorie der Nachkriegszeiten“ behandelt wurde. Inwieweit diese in der Finanzkrise greift oder für die Zukunft Gültigkeit hat, blieb leider unbeantwortet.

Immerhin wich Sloterdijk gegen Ende von der geschichtswissenschaftlichen Erörterung ab und gab einen kleinen Einblick in sein weiteres literarisches Schaffen, las aus seinen Tagebüchern über den allerersten Urlaub auf Lanzarote und rechnete mit Fritz Raddatz ab, dessen von „Altersrücksichtslosigkeit nicht mehr unterscheidbare Urteilsfreudigkeit“ er dekonstruierte. Der Nachteil dieser Abschweifung war allerdings, dass Sloterdijk kein passendes Ende für die Veranstaltung fand und so die letzten Minuten mit viel Schweigen und Blättern vergingen, während Manfred Osten vorsichtig versuchte, den Abend zu einem Abschluss zu bringen. Und es irgendwann auch schaffte. 

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