Jazz ist Erfahrungssache. Längst tummeln sich unter diesem Mega-Label tausende kontrastreiche Musikstile, von denen das Jazzfest Bonn in diesem Jahr einige vorgestellt und erlebbar gemacht hat. An den letzten beiden Festivaltagen hat sich dieser Ansatz einmal mehr bewährt: In der Bundeskunsthalle mischte sich Kryptisch-Glühendes mit einer herrlich schrägen Performance, im Telekom-Forum trafen Pop-Erzählungen auf einen Ausnahme-Trompeter. Wenn man den Mut zum Zuhören hatte. Denn schon beim ersten Freitags-Konzert wurde das Publikum herausgefordert.
Die Grundidee von Pianist Pablo Helds Projekt „Glow“ ist simpel: Es gibt ein paar Skizzen für die einzelnen Stücke, alles weitere ist den Musikern überlassen. Geprobt wird nicht, Hören ist daher
Trumpf, um sich adäquat in das Gefüge einzupassen. Was in der Bundeskunsthalle nicht immer zu gelingen schien – zumindest wenn man die sonst üblichen klaren melodischen oder rhythmischen
Strukturen als Maßstab nahm. Nur ab und zu kristallisierte sich so etwas wie ein harmonisches Zusammenspiel heraus, ein kurzer Moment der Ruhe für die geforderten Ohren, bevor sich das Septett
wieder aufmachte, die Grenzen der Freiheit des Jazz zu erreichen. Eine Reise, auf der nicht alle zu folgen vermochten; zu chiffriert war diese Musik, bei der Uneingeweihte sich wünschten, sie
würde ihnen wenigstens Spanisch und nicht Klingonisch vorkommen. Die Initiaten genossen dagegen das verspielte Klangkunst-Experiment und dankten „Glow“ mit ausgiebigem Applaus.
Schräg auf eine ganz andere Weise zeigte sich die Sängerin Maria João im zweiten Freitagskonzert. Sie selbst ist bereits ein besonderes Kunstwerk, mit ihrem gesamten Habitus und ihrem
extravaganten Tanz an Björk und Nina Hagen erinnernd, dazu eine unglaublich wandlungsfähige, teils kindlich anmutende und immer wieder alle Möglichkeiten auslotende Stimme: Eine Vielseitigkeit,
die begeisterte, sowohl akustisch als auch optisch (wobei letzteres Vergnügen allerdings durch die massiv auffallenden Kameraleute der Bundeskunsthalle deutlich getrübt wurde). Im Gegensatz zu
„Glow“ war die Portugiesin allerdings die einzige, die neue Wege beschritt, während das sie begleitende Trio aus Flügel, Akkordeon und Schlagzeug ihr das dafür notwendige solide Fundament
südländischer Färbung lieferte.
Nicht weniger energetisch, allerdings aus dem kalten Norden kommend läutete die Norwegerin Randi Tytingvåg im Telekom-Forum das Finale des Jazzfests ein. Wie das Meer solle ihre Stimme sein, hieß
es in der Ankündigung – ein treffendes Bild. Poetisch und intensiv öffnete sich Tytingvåg dem Publikum, sang Lieder für ihre „Schweigermutter“, für einen Freund und für sich selbst, sang gegen
den Schmerz des Verlusts an, den sie selbst am besten kennt – 2012 verlor sie, so erzählte Tytingvåg gefasst, ihr ungeborenes Kind. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb nach einem
faszinierend-rockigen Auftakt die harmlos-freundliche Welt des Pop dominierte.
Schließlich dann der Höhepunkt des Abends und, zumindest hinsichtlich des Bekanntheitsgrads eines der Namen, des gesamten Jazzfests: Star-Trompeter Till Brönner zeigte im Duo mit dem Bassisten
Dieter Ilg, dass er seinem Ruf durchaus gerecht wird und in jeder Stilart des Jazz zu Hause ist. Hier eine experimentelle Komposition mit brachial scharfen Ansätzen, dort ein Klassiker wie
„Eleanor Rigby“, dann wieder etwas „typisch Bönnsches“ (ein Stück namens „5th of Beethoven“) oder eine Variation über Volkslieder, bei der „Es, Es, Es und Es“ namensgebend, „Maria durch ein
Dornwald ging“ aber melodisch präsent war und bei der Bassist Ilg in einem seiner exzellenten Soli ganz beiläufig „Smoke on the Water“-Zitate einflocht. Eine instrumentale Klasse für sich, zu der
Brönner noch gesangliche Akzente setzte und mit seiner rauchigen Stimme ein portugiesisches Lied zum Besten gab. All das kann Jazz sein. Wenn man sich drauf einlässt.
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