Kennen Sie Puck? Den Waldgeist aus Shakespeares „A Midsummer Night's Dream“, der allerlei Schabernack treibt, der Komödie damit erst seinen eigentlichen Reiz gibt und zugleich einen tieferen Sinn kolportiert? Innerhalb der Geschichte der Rockmusik lässt sich dieses Bild auch auf Ian Anderson übertragen, den flötenschwingenden Waldschrat mit dem spitzbübischen Humor. Mit „Thick as a Brick“, der hochgelobten, bewussten pythonesken Übertreibung eines Konzeptalbums, hat er beziehungsweise Jethro Tull einen Meilenstein komponiert, 2012 legte er mit dem zweiten Teil nach und machte sich sogleich daran, das gesamte opus magnum aufzuführen. So auch am vergangenen Montag in der Beethovenhalle.
Mit einem wilden Mix aus Folk- und Hardrock-Parts, die durch zum Teil abenteuerliche Rhythmus- und Tempiwechsel ineinander fließen, erzählt „Thick as a Brick“ die fiktive Story über den
achtjährigen Nachwuchsdichter Gerald Bostock, der in einem epischen Gedicht die Zwänge des Erwachsenwerdens beschreibt, der vor allem die Prägungsversuche durch heroische Soldaten-Comics und „Boy
Scouts“ sowie die glorifizierten Kriege kritisiert, während der Wunsch nach einem Dichterdasein verwehrt wird. Ein hochkomplexes Werk, das sowohl von der Band als auch vom Publikum einiges
abverlangt. Doch da ist immerhin Hauptsänger Anderson, der Dreh- und Angelpunkt der Aufführung: beinahe kontinuierlich über die Bühne tanzend, mit den Armen Kommandos gebend, sich in einen
musikalischen Dialog mit Gitarrist Florian Opahle begebend – und natürlich immer wieder in legendär einbeiniger Pose Flöte spielend. Ihm zur Seite steht dabei der charismatische Co-Sänger Ryan
O'Donnell, der ebenfalls fröhlich über die Bühne mäandert und dabei eine Art Marschallstab schwingt. Zusammen gelingt es den beiden, trotz mancher Show-Kuriositäten (wie Video-Einspielern mit
einem durch die Gegend watschelnden Froschmann) den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten – lediglich die Wetterberichtsparodie, die zwischen den beiden Teilen von „Thick as a Brick“ für eine
Atempause sorgen soll, ist mit dem an Monty Python orientierten Humor nur schwer verständlich und verwirrt mehr, als dass sie auflockert.
Dann das neue Werk, dem man diese Frische erfreulicherweise nicht anmerkt: „Thick as a Brick 2“, in dem verschiedene Lebenswege von Gerald Bostock aufgezeigt werden, knüpft musikalisch nahtlos an
den 40 Jahre alten Vorgänger an. Erneut wechseln sich folkloristische, ja fast mittelalterlich anmutende Troubadour-Melodien, die Anderson entweder auf einer Parlor-Gitarre oder mit seiner
beliebten Querflöte spielt, in teils unerwartet abrupten Wechseln mit opulent-mächtigen Rockriffs ab. Dabei bekommen alle Musiker einmal Gelegenheit, kurzfristig im Mittelpunkt zu stehen: Bassist
David Goudier darf sich ebenso präsentieren wie Ian Andersons Sohn John Duncan oder John O'Hara, der zwischenzeitlich vom Keyboard zum Akkordeon wechselt. Und wieder kommen Videoeinspielungen vom
über matschige Feldwege und leere Parkplätze stapfenden Froschmann, dessen Erscheinung viele dazu verleiten mag, dieser sei „thick as a brick“ (übersetzt etwa „saudumm“). Bis er dann schließlich,
nach langen Wanderjahren, sein Ziel erreicht und ins Meer steigen darf. Ein würdiger Abschluss, den auch Ian Anderson mit „Thick as a Brick 2“ liefert. Doch selbst jene, die eher auf die großen
Jethro-Tull-Hits gehofft haben, werden in der Beethovenhalle nicht völlig enttäuscht: Mit dem „Bouree“ von Johann Sebastian Bach und dem großartigen „Locomotive Breath“ setzt Ian Anderson zwei
Akzente, die das ohnehin begeisterte Publikum vollends zufriedenstellen dürfte.
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