Die Germanen kommen! Eine schier unbezwingbare Horde, der Roms letzter Kaiser Romulus nichts entgegensetzen kann und will. Soll sie doch das verrottende Imperium zerstören – Hauptsache, es bleibt genug Zeit für die Hühner. Ein komisches Bild, und zugleich ein tragisches. Es ist die Exekution eines sich selbst überlebten Weltreichs durch Untätigkeit, begangen auf Eierschalen. „Der Kaiser weiß, was er tut, wenn er sein Reich ins Feuer wirft, wenn er fallen lässt, was zerbrechen muss.“ Vor den ungläubigen Augen des kaiserlichen Hofes negiert Romulus jeden noch so verzweifelten Rettungsversuch, auf den Todesstoß des barbarischen Odoakers wartend. Der, wie sich am Ende herausstellt, nur dem Traum seines Volkes nachgegeben hat und die Weltherrschaft eigentlich gar nicht will. Sondern lediglich Hühner züchten möchte.
Das Neue Ensemble Bonn hat sich unter der Regie von Lukas Wosnitza für seine erste Produktion mit Friedrich Dürrenmatts ungeschichtlicher historischer Komödie „Romulus der Große“ ein eigentlich
durch zu viele Schulaufführungen verbranntes Stück ausgesucht – und es erfreulicherweise geschafft, den Ruß vollständig zu entfernen. Statt auf übertriebenen Klamauk setzt es auf die ernsten
Momente, die durch die kontrastierende Komik des satirischen Textes nur noch stärker herausgehoben werden. „Wir können das Tragische aus der Komödie heraus erzielen, hervorbringen als einen
schrecklichen Moment“, schreibt Dürrenmatt selber in seinen „Theaterproblemen“. Genau das gelingt dem vor allem aus erfahrenen Mitgliedern der Bonn University Shakespeare Company bestehenden
Ensemble hervorragend. Feiner Witz gemischt mit philosophischen Staatsgedanken. Allen voran schreitet Gregor Pallast als Romulus, der seiner Figur mit viel Geschick eine beträchtliche Tiefe
verleiht. Auf der einen Seite ein spitzzüngiger Gegner für seine keifende Frau Julia (Esther Takats) und den Asyl suchenden oströmischen Kaiser Zeno (Hendrik Wevers), zeigt er sich andererseits
als sorgender Vater, der für seine Tochter Rea (bezaubernd: Meike Nießen) nur das Beste will: Nicht etwa eine Zwangsehe mit dem reichen Hosenfabrikanten Cäsar Rumpf (Peter Schild mit rheinischem
Akzent), der mit seinem Vermögen Germanenfürst Odoaker (Sebastian Klement) bestechen und damit Rom retten könnte, sondern eine Verbindung mit dem aus feindlicher Gefangenschaft geflohenen
Patrizier Ämilian (herausragend: Jens Küstner), dem Rea ihr Herz geschenkt hat. Liebe statt Vaterland.
Gerade in der Figur des Ämilian zeigt sich das dramatische Potenzial des Stücks. Von zahllosen Wunden gezeichnet (für die beeindruckende Maske zeichnet sich Christine Essling ebenso
verantwortlich wie, zusammen mit Jana Kiepsieker, für die Kostüme) ist an ihm überhaupt nichts Komisches. Er ist die personifizierte Schuld des Romulus, der sich zum Richter und Henker seines
Reiches erhoben hat, untätig auf die Germanen wartend und dabei zahllose Tote in Kauf nehmend. Ihm gegenüber kann der sonst spottende und ironisierende „Cäsar der Hühner“ nur ernst sein, ihm ist
er Rechenschaft schuldig für sein Handeln. Und so ist das erste Aufeinandertreffen der beiden inmitten des Hühnerhofs eine der stärksten Szenen der Aufführung. Schuld und Sühne unter Eiern.
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