Mit Melodie und Harmonie im klassischen Sinne hat das Klangspektakel in der Bundeskunsthalle gar nichts mehr zu tun: Quietschende Instrumente und teils unverständliche Gesänge vereinigen sich in durchorchestrierten Dissonanzen, generiert von verteilt stehenden Musikern, die so den Hörraum mit gestalten. Dazwischen Bewegung: Ein Sopran singt sapphische Verse, während ein Bariton 80 Mal mit unterschiedlichen Emotionen ein Haiku wiederholt und pornographische Bilder, die die Stellwände des konstruierten Raumes bedecken, an bestimmten Stellen, das Weibliche verkrüppelnd, mit Klebeband verdeckt. Ein bewusst gesetzter Kontrast, eine Beziehung des Unverstehens – doch das erleichtert die Rezeption des präsentierten Werkes nicht.
„Nocturno“, das der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas extra für die Reihe „Bonn Chance“ schuf und das in der Bundeskunsthalle erstmals zur Aufführung kommt, ist schwere Kost und
längst nicht für jedermann zugänglich, erfordert es doch veränderte Hörgewohnheiten sowie ein grundlegendes Verständnis für Neue Musik und Mikrotonalität – wer dies nicht mitbringt, wartet
zunehmend verzweifelnd auf ein nicht kommendes „Hurz“. Zu schräg die hochkomplexen Tonfolgen, die das Ensemble musikFabrik und der Damenchor des Theater Bonn unter der Leitung von Christopher
Sprenger erzeugen, zu fremdartig das zugrunde liegende Musikkonzept. Dabei bemühen sich alle Beteiligten, ein wahres Klangerlebnis zu schaffen. Schon der Beginn ist ungewohnt und spannend: Mit
Hilfe von Schlafmasken entsteht für das Publikum der Eindruck völliger Dunkelheit. Aus dieser erwächst der Damenchor, der Textfragmente von Georg Trakl und Novalis in einer Art wimmernd-monotonem
Gesang darbietet. „Wir haben eine biologische Disposition zum Leben in der Nacht“, hatte Komponist Haas im Vorfeld mit Blick auf den Titel erklärt – mit diesem Auftakt soll die verloren gegangene
Verbindung wieder hervorgeholt werden, auch wenn das statische Herumstehen und der damit verbundene singuläre Toneindruck nur bedingt zielführend sein dürften.
Später schwindet die Dunkelheit, darf die Maske abgesetzt und Ruth Weber und David Pichlmeier gelauscht werden, die mit ihren Gesängen aneinander vorbeireden und -gehen. Ein Alltagsleben voller
neuer Dissonanzen – und ein Konzert mit Happening-Charakter, in dem aber fast nichts dem Zufall überlassen ist. Eine anspruchsvolle Aufführung, für die Orchester, Chor und Solisten, aber auch die
Zuhörer mit ausgiebigem Applaus gefeiert werden dürfen.
Kommentar schreiben