Letztlich läuft alles auf einen Generationenkonflikt hinaus. Karl und auch Franz Moor gegen ihren Vater, die mordenden und brandschatzenden Altersgenossen gegen das System, gegen die strenge, aber längst verfallende und verfaulende Ordnung der Alten. Diesen Kampf zeigt das Theater Bonn in der neuen Inszenierung von Schillers Erstlingswerk „Die Räuber“ mit viel Elan und Witz, greift aber an einigen Stellen etwas zu tief in die dramaturgische Trickkiste.
Es ist eine leere Welt, in der die Räuber agieren. Nichts steht auf der von weißen Wänden begrenzten Bühne, keine Dekoration, keine Illusion und keine Perspektive. Lediglich der große Übervater,
der alte Moor, hat seinen Stuhl, auf dem er Kohl-artig thront, sich von seinem Sohn Franz bedienen lässt und gleichzeitig nach dem sich in der Ferne die Hörner abstoßenden Karl sehnt – wenn er
nicht gerade isst, was die meiste Zeit über der Fall ist. Elterliche Liebe ist das nicht. Der mächtige Patriarch, dem Günter Alt jede Art von Wehleidigkeit ausgetrieben hat, leidet am Magen,
nicht am Herzen. Von ihm setzen sich seine Söhne ab, jeder auf seine Weise: Der nach dem Erbe gierende und seinen Bruder neidende Franz (wunderbar verschlagen: Arne Lenk), indem er gegen Karl
intrigiert, ihn beim Vater verleumdet, diesen so unter die Erde bringt und sich zum Rockstar-Herrscher stilisiert, und Karl (Hendrik Richter), indem er letztlich zum Räuberhauptmann wird. Ein
schwacher Anführer allerdings, dessen ihm eigentlich zugeschriebene Emotionalität aufgesetzt wirkt und der vom bösen Spiegelberg (äußerst charismatisch: Konstantin Lindhorst) immer wieder in den
Schatten gestellt wird. Dennoch folgen ihm die mit Parkas und Arafat-Tüchern ausstaffierten Räuber und Halsabschneider, verzweifelt und richtungslos, fühlen sich vom Moorschen Fieber angesteckt,
haben Lust zum Widerstand, ohne aber genau zu wissen, was sie erreichen wollen.
Regisseur Niklas Ritter hat mit seinem Ansatz dem alten, schweren Stoff eine bemerkenswerte Aktualität und Leichtigkeit gegeben, durchdrungen vom Atem der 68er Generation und der Occupy-Bewegung,
aber auch von Protest- und Abnabelungsprozessen im Kleinen und von immer exzessiveren Abgrenzungsversuchen. Doch wirkt manches zu gekünstelt: So nageln die Räuber nach einer Farbschlacht und
einem Gruppenstriptease demonstrativ ihre Gewänder an die Wand, provokant in ihrer Nacktheit – aber Provokation wogegen? Auch die Schlussszene, in der die verbleibenden Charaktere mit
aufgesetzten Riesenköpfen auftreten und damit ausgerechnet im emotionalsten Moment des Stücks die Mimik als Ausdrucksmöglichkeit ausschließen, wirkt nicht logisch. Ähnliches gilt für die beiden
Videosequenzen, in denen zuerst Karls Geliebte Amalia (souverän: Ines Schiller), später Franz durch steril und statisch wirken – doch immerhin ist es nur so möglich, dass letzterer sich in
Quentin-Tarantino-Manier mit einer Stange Dynamit den Kopf wegsprengt. Ein schöner Einfall, der in seiner schockierenden Brutalität auch an anderer Stelle gewirkt hätte. Stattdessen stirbt Amalia
am Ende durch Schaumstoffstangen. Vielleicht ist dies ein Protest gegen Erwartungen, konsequent erscheint es jedoch nicht. Trotzdem gab es bei der Premiere langanhaltenden Applaus für eine in
weiten Teilen sehr gelungene Inszenierung.
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