„Rot“: Wenn aus Bildern Kinder werden

Rot! Überall rot! Rubin-, Kamin-, Blut- und Feuerrot in großen Flächen von den Wänden hängend. Und davor ihr Meister: Mark Rothko. Ein Künstler, der in den 50er und 60er Jahren in einem Atemzug mit Jackson Pollock genannt wurde; der für sich in Anspruch nahm, den Kubismus zertreten zu haben; und der 1958 einen 35.000-Dollar-Auftrag für eine Serie von Wandgemälden erhielt, was kein Maler vor ihm geschafft hatte. Genau hier setzt John Logans Kammerspiel „Rot“ an, das das Euro Theater Central am Donnerstagabend erstmals in Bonn aufführte.

Ganz nah dran sind die Zuschauer an Rothko, so wie dieser es von Betrachtern seiner eigenen Werke immer verlangt hatte. Die Theaterbersucher tauchen förmlich ein in die Szenerie, in die Interaktion zwischen dem megalomanen Genie und seinem Assistenten Ken: Ein scheinbar unerfahrener, unbelesener Jüngling mit einem oberflächlichen Kunstverständnis, der als Spiegelfläche für den egomanischen Rothko dienen soll und dem es doch gelingt, sich zu emanzipieren, sich abzugrenzen von seinem Lehrer und Sklaventreiber.

Diesen spielt der großartige Bruno Tendera unter der Regie von Peter Tömöry mit beeindruckender emotionaler Tiefe. In einem Moment rasend, die Dummheit der Welt im allgemeinen und Kens im besonderen geißelnd, im nächsten ruhig, konzentriert, lehrend, dann wieder versunken in seine Arbeit, in die Entschlüsselung seiner Kunst, immer auf der Suche nach der richtigen Konstellation für seine Abkömmlinge, seine geistigen Kinder, die Anordnung seiner Gemälde dirigierend wie ein Orchesterleiter. Eine Aufgabe, an der sich auch Ken versucht – und scheitert. Kein Wunder: Vor allem zu Beginn des Stücks wirkt diese Figur überdreht, künstlich, grell. Zu viele undifferenzierte Farben, die von Rothko in kürzester Zeit abgeschabt werden und nichts als eine leere Leinwand zurücklassen, die neu gefüllt werden muss. Eine anspruchsvolle Rolle, die Stephan Tacke-Unterberg mit Bravour ausarbeitet – sowohl die anfänglichen Charakterschwächen als auch die kontinuierliche Steigerung im Stück spielt er hervorragend, bis er schließlich auf Augenhöhe mit seinem Gegenüber agiert. Aus dem Lehrling wird schließlich der Kontrapunkt, ein selbstbewusster Vertreter einer neuen Künstlergeneration, die Rothko souverän entgegentritt, ihn der Heuchelei beschuldigt und auch die Kündigung durch den Meister riskiert, um sein Kunstverständnis zu verteidigen. „Bin ich jetzt entlassen?“, fragt er nach diesem Ausbruch – und beweist damit nur, dass er Rothko noch längst nicht verstanden hat. „Entlassen? Das ist der erste Moment, in dem Sie überhaupt existieren.“ Denn jetzt ist das Menschgemälde vollendet – das einzige Kunstwerk jener Zeit, das Rothko schließlich in die Welt hinausschickt, ein sehender, wenn auch ödipaler Erbe unter all seinen blinden, verletzlichen Leinwand-Kindern.

Das Euro Theater Central hat mit dem mit sechs Tonys ausgezeichneten „Rot“ ein faszinierendes Stück über die Psychologie der Kunst auf die Bühne gebracht und sich damit einen Herzenswunsch erfüllt.  „Seit dem Erscheinen der deutschen Übersetzung habe ich mich bemüht, die Erlaubnis des Verlags zu erhalten“, erklärte Theaterchefin Gisela Pflugradt-Marteau – doch das war keineswegs selbstverständlich. Immerhin ist Autor John Logan kein unbeschriebenes Blatt: Neben seiner Arbeit als Dramatiker ist er als Drehbuchautor tätig und hat zuletzt die Vorlagen zu „Hugo Cabret“ und dem neuen James-Bond-Film „Skyfall“ geschrieben. Umso größer ist nun die Freude in dem kleinen Bonner Haus, „Rot“ präsentieren zu dürfen – zumal zugleich die Erlaubnis erteilt wurde, die sonst in der Tate-Gallery gespielte Klanginstallation „Colourfield for Strings“ des Musikprofessors Colin Fallows einzubinden, die sich explizit auf den im Stück behandelten Bilderzyklus bezieht. Und so erlebt man mehr als nur Rot.

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