„Dir scheint die Sonne aus dem Arsch“, soll ein Kabarettist einmal zu Dieter Nuhr gesagt haben. Zu gut gelaunt sei er, zu positiv eingestellt angesichts einer Welt, die von einer Krise in die nächste schlittert, in der Kriege zum Alltag gehören und das Geld über allem steht. „Stimmt“, sagt Nuhr. Und lächelt. Während er sich aufregt. Denn auch wenn es in der Beethovenhalle eigentlich ein ruhiger, gemütlicher, unpolitischer Mittwochabend werden soll, kann sich der 52-Jährige nicht immer zurückhalten. Zu viel liegt im Argen.
Und so wandelt Nuhr mit dem ihn auszeichnenden Balance auf dem Grat zwischen banaler Comedy („unter der Gürtellinie ist ein ganz wichtiger Bereich“) und jenem kritischen Kabarett, das er selbst
schon als Wut-Veranstaltung für Ältere bezeichnet hat.
Zu allem und jedem hat der Ex-Lehrer was zu sagen: zur Weltwirtschaftskrise, zur Generation Facebook, zum Horror in der Damenhandtasche und zur Überbevölkerung. Nichtwissen gibt es nicht, darf es
nicht geben – im Zweifel hilft Google weiter, etwa wenn es um die Frage geht, warum Spechte keine Kopfschmerzen kriegen. Oder wovor die Menschen Angst haben. Vor allem die Deutschen, die
Meister-Jammerer. Vor Maulwürfen etwa. Oder vor dem Blick einer Ente. Als ob wir sonst keine Probleme haben. Waldsterben, Klimaerwärmung, Terrorwarnung – Sorgen ohne Ende. Weil wir von diesen
Dingen wissen und uns gleich das Schlimmste ausmalen. Intellektuelle Hypochonder. „Idioten haben weniger Ängste“, sagt Nuhr und fordert dazu auf, weniger nachzudenken. Nicht über den Tod grübeln,
sondern am Leben teilnehmen.
Es ist ein Aufruf zu mehr Optimismus, aber irgendwie auch ein Eingeständnis der Machtlosigkeit. Wir können eh nichts ändern, also können wir auch Party machen. Sicherlich nicht das, was Dieter
Nuhr meint – aber das, was er sagt. Auch an einigen anderen Stellen lehnt er sich im Eifer des Gefechts etwas zu weit aus dem Fenster, etwa wenn er Menschenopfer und Kannibalismus mit arabischer
Folklore verbindet. Da beginnt der Gratwanderer zu taumeln und wird kurzzeitig zum Specht. Doch bei dem hohen Tempo, mit dem Nuhr die Themen wechselt, fällt dies kaum auf. Glück gehabt.
A propos Glück: Das haben gerade die Deutschen, meint Nuhr. Denn eigentlich geht es uns doch gut. „Wir leben in einer liberalen Gesellschaft“, ruft er aus – und erntet Totenstille. Ups. Das war
wohl das falsche Wort, zu sehr von der FDP belastet. Oder liegt diese Reaktion vielleicht doch eher an dem Unverständnis, dass jener Mann ein Land lobt, das er kurz zuvor noch als riesige
Nervenheilanstalt bezeichnet hat, in der die Irren die Bekloppten pflegen? Konsequenz, dein Name ist nicht Nuhr. „Was will ich damit sagen? Weiß ich auch nicht genau“, gesteht dieser etwas
später. Da versagt selbst Google.
Letztlich geht es bei Dieter Nuhr immer um Gratwanderungen. Zwischen Brachialhumor und feiner Satire, zwischen Schwarzmalerei und Sonnenschein, zwischen plakativen Aussagen und tiefsinnigen
Gedanken. In der Beethovenhalle hat er mit seinem umjubelten Programm „Nuhr unter uns“ wieder einmal bewiesen, dass er diesen Weg trotz einiger Unsicherheiten besser zu gehen vermag als viele
andere Künstler. Und all das mit einem Lächeln.
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