Dieter Hildebrandt: „Das muss doch alles gesagt werden“

 

Burnout, das ist was für andere, nicht für Dieter Hildebrandt. Der Altmeister des deutschen Kabaretts hat noch mehr als genug Energie – er glimmt nicht etwa, er lodert noch. Nicht als Lauffeuer, wie einige seiner jüngeren Kollegen, sondern als stetige Flamme, in der Mitte der Bühne der Bonner Oper hinter einem Holztisch sitzend. Klingt gemütlich. Aber genau das will Hildebrandt nicht sein. Auch nicht mit 85 Jahren.

Stattdessen sollen die Funken fliegen, schmerzhafte Wahrheiten, bissige Pointen, mit einem unvergleichlichen Talent für Timing gesetzt. Ob EU-Rettungsschirm, die aktuelle Alibiographie-Schwemme deutscher Politiker oder der bald zu erwartende, das Fernsehprogramm zukleisternde Start der Skisport-Saison – Hildebrandt gibt Zunder. „Das muss doch alles gesagt werden“, erklärt er. Und zwar vor Beginn des eigentlichen Programms („Ich kann doch auch nichts dafür“), der sich dadurch immer weiter nach hinten verschiebt. Ist nicht schlimm. Das Publikum wartet gerne. Und genießt.

„Old Shattermouth“ schießt derweil scharf. Und trifft meistens ins Schwarze. Die Schießbudenfiguren der schwarz-gelben Regierung nimmt er besonders gerne aufs Korn, etwa die drei Jungspunde Rösler, Bahr und Lindner, die sich ausgerechnet dann anschickten, die trübe Parteisuppe auszulöffeln, als die FDP endlich bereit war, den alten Löffel abzugeben. „Alle Parteien haben das Recht zu sterben, wenn sie den Gipfel ihrer Überflüssigkeit überschritten haben“, mahnt Hildebrandt. Wenn es nach ihm ginge, gälte dieser Satz übrigens auch für die CSU. Ob Stoiber, Seehofer oder Dobrindt: Einen Vertreter dieser Partei nach dem anderen attackiert der Grandseigneur, mal ganz feinsinnig, dann wieder brachial. Zugleich wettert er gegen „Minister ohne Anschlussverwendung mit entweichender Wichtigkeit“, die nach Brüssel abgeschoben werden, wo sie dann auch wieder nichts als Ärger machen, und sieht die ganze Regierungsriege als Solo-Trompeter statt als gemeinsam musizierendes Orchester. Wobei der Vergleich hinkt: Immerhin müssen Trompeter zumindest mit ihrem eigenen Instrument umgehen können...

Doch nicht nur die Politik hat Hildebrandt im Visier. Vielmehr kommt er immer wieder auf die Gesellschaft zu sprechen, die er allerdings zu einem beträchtlichen Teil über das leidige Fernsehprogramm mit seinen Talkshows, Sportshows und Musikshows zu definieren scheint. Und über eigene Befindlichkeiten: Die Bambi-Verleihung findet er einfach nur peinlich, zum Deutschen Fernsehpreis oder anderen TV-Auszeichnungen lässt er sich dagegen nicht aus. Die werden allerdings auch nicht vom Burda-Verlag verliehen, mit dem Hildebrandt eine persönliche Fehde auszufechten scheint. An diesen Stellen schwächelt der Meister, flackert die Flamme. Also schnell zurück zur Politik.

Trotz des flammenden Intellekts und einer nach eigenen Aussagen noch guten körperlichen Verfassung ist Dieter Hildebrandt sich bewusst, dass er nicht für immer auf der Bühne stehen kann. Aber: „Wenn ich aufhöre, was fange ich dann an?“ Lach-Yoga? Wohl kaum. Nordic Walking? Nein, davor graust es ihm. Rentner-Rap? Das würde funktionieren, wie Hildebrandt eindrucksvoll beweist. Aber auf Dauer wäre das wahrscheinlich auch keine befriedigende Lösung. Dann doch lieber weiter Kabarett. So lange die Flamme noch brennt. Genug Ziele gibt es ja. Also Feuer frei.

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