Es herrscht betretenes Schweigen im Saal des Pantheon, das Lachen ist dem Publikum im Halse stecken geblieben. So hatten sich die meisten einen Kabarett-Abend nicht vorgestellt. „Ich hoffe, Sie sind jetzt ein bisschen verunsichert“, merkt der Mann auf der Bühne an. Wohl eher verstört. Ganz so, wie Christoph Sieber es geplant hat. Aufrütteln will er, aufmerksam machen auf die zahlreichen Missstände in der Welt, schockieren, mahnen, warnen. Während in Europa den maroden Banken, die ihr eigenes Fundament mit Säure auflösen, Milliarden in den Hydra-Rachen geschmissen werden, steht in Somalia stillschweigend die nächste Hungersnot an – und keiner sagt was.
„Man rettet die Täter, und die Opfer vergisst man“, sagt Sieber da und legt nach: Da fehlen Tausende Tonnen Lebensmittel, hier schmeißen wir die jeden Tag weg, feuern den Bäckerofen mit altem
Brot (hat den selben Energiewert wie Holz) und loben uns für unseren gesunden Lebenswandel. Bravo. Toll gemacht. Und während Sieber auf der Bühne eine unbequeme Wahrheit nach der nächsten in den
totenstillen Raum schleudert, anklagt und protestiert, zeigt sich auf den Gesichtern der Zuschauer ein innerer Konflikt: „Er hat ja recht – aber ich bin zum Lachen hierher gekommen.“
Christoph Sieber weiß um dieses Begehren, weiß, dass die meisten Menschen die bitteren Fakten nur stückchenweise vertragen. Nimmt daher auch regelmäßig Abstand von der harten Realität in Politik
und Wirtschaft, spricht über den Schienenersatzverkehr der Deutschen Bahn, DSDS und den Tastenwahn im Elektronikbereich – und kommt dann doch wieder auf jene Themen zurück, die ihn so sehr
beschäftigen, auf das Grundversagen der Menschheit im Allgemeinen und auf das von Angela Merkel im Besonderen. Es wird wieder ernst, dann noch ernster, die letzten Lacher verstummen und wieder
ist sie da – diese bedrückende Stille.
Es ist dieser ständige Wechsel, der Siebers Programm „Alles ist nie genug“ schwächer erscheinen lässt als nötig. Im Gegensatz zu anderen Kabarettisten wie etwa Hagen Rether oder Henning Venske
scheint er noch nicht die richtige Balance zwischen Witz und Bissigkeit gefunden zu haben. Zwar gelingt Sieber oft die Symbiose von humorvoller Bildsprache und scharfer Kritik, doch immer wieder
gleitet er ins Extrem ab, ist entweder nur Mahner oder nur Clown. Als letzterer versucht er sich als letztlich mäßiger Poetry-Slammer oder überaus talentierter Hip-Hop-Tänzer, wirkt dabei
allerdings dann nicht mehr wie Christoph Sieber, sondern eher wie Michael Mittermeier. In diesen Phasen ist sich Sieber für nichts zu schade, macht sich zum Affen, an einer Stelle gar zum Gaul
und gibt dem gierigen Publikum Zucker – ähm, Lacher. Die Belohnung für die harten Wahrheiten, für die Risse in den Wänden unseres Wolkenkuckucksheims.
Keine Frage, Christoph Sieber würde einen hervorragenden Comedian abgeben. Oder einen knallharten Kabarettisten. Wenn er sich doch nur entscheiden könnte. So versucht er sich in beidem und
generiert dermaßen viele Brüche innerhalb seines Programms, dass dieses mehr Stückwerk als rundes Ganzes ist. Exzellentes Stückwerk, das sei an dieser Stelle explizit gesagt – viele seiner
Kollegen könnten von Sieber noch einiges lernen. Doch richtig stark würde der gelernte Pantomime werden, wenn er ein klareres Konzept hätte, einen programmatischen Rahmen. Manchmal ist „Alles“
eben mehr als genug.
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