Lou Reed: Genuss muss man sich verdienen

Gleich das erste der KunstRasen-Konzerte in Bonn scheint, was die Zuschauerzahlen angeht, eher enttäuschend: Lediglich 1500 Fans tummeln sich auf dem für 10.000 Menschen angelegten Areal in den Bonner Rheinauen. Aber immerhin ist Lou Reed niemand, den man als mainstreamtauglich bezeichnen kann. Und täte es doch jemand, hätte der inzwischen 70-jährige Straßenpoet, dieser zerknitterte, unverbogene, kompromisslose Mann in Schwarz, sicherlich einige harsche Worte dazu zu sagen.

Sich anbiedern, unterhalten, lieb, nett und gefällig sein, das ist das Gegenteil dessen, was Reed ausmacht. Seine Fans sollen es nicht leicht haben – sie sollen sich abmühen an den Ton- und Textkonstrukten des Velvet-Underground-Masterminds. Das Hören seiner Songs über Junkies, Verfall und Tod ist oft Schwerstarbeit – wem das nicht gefällt, der kann ja gehen. Für entsprechende Impulse wird gesorgt: Schon vor Beginn des Konzerts hämmert atonaler, avantgardistischer Gitarren-Krach aus den Boxen; wer den den nicht übersteht, hat bei Lou Reed nichts zu suchen.

Die ersten echten Stücke machen es dem Publikum nicht leichter. Die Zusammenarbeit mit Metallica bei dem von Fans beider Fraktionen verspotteten Konzeptalbum „Lulu“ hat seine Spuren hinterlassen – hämmernde Drums und dröhnende Gitarren herrschen bei Lou Reeds ersten Schritten auf der KunstRasen-Bühne vor, ohne aber als echter Heavy Metal oder zumindest einigermaßen brauchbarer Hardrock gelten zu können. Ein Scheitern, das zu „Lulu“ passt. Doch der überraschend gut gelaunte Lou Reed will nicht von diesem musikalischen Experiment ablassen, will dem Publikum seine musikalische Interpretation des gleichnamigen Frank-Wedekind-Dramas förmlich in den Rachen rammen. Der Opener „Brandenburg Gate“ wird daher gleich mal auf gut zehn Minuten gestreckt; „The View“ und „Mistress Dead“ sind zwar kürzer, aber dafür umso lauter. Dazwischen Klassiker wie etwa „Heroin“ und „I'm Waiting For The Man“, die aber mit der neuen Instrumentalisierung austauschbar wirken. Trotzdem, den hartgesottenen Fans gefällt's.

Erst jetzt, nach dieser röhrenden, teils quälenden ersten Hälfte, nimmt Lou Reed den Druck raus – und sorgt für Genuss. Wer bis zu diesem Zeitpunkt aushielt, hat sich das auch redlich verdient. Ruhiger wird es, feiner, filigraner. Musik mit der Feder statt mit dem Brecheisen. Etwa die komplexe, aber fantastische Song-Trilogie „Street Hassle“ oder die ganz großen Hits: „Walk On The Wild Side“, „Beginning To See The Light“ und das unvergessene „Sweet Jane“. Diese Titel sind das Zuckerbrot nach der Peitsche, das nach der anstrengenden ersten Hälfte nun nur um so besser schmeckt. Und auf einmal wird selbst ein auf fünf Minuten eingedampftes „Junior Dad“, der letzte „Lulu“-Aufbäumer, zu einem Song, der zwar immer noch schwer verdaulich ist, aber nicht direkt im Halse stecken bleibt. Vielleicht ist Lou Reeds Konzept am Ende also doch aufgegangen.

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