Lisa Eckhart: Zügellose Lichtgestalt

„Hier kommt die Sonne“: Bescheidenheit gehört wahrlich nicht zu Lisa Eckharts Stärken. Beziehungsweise zu denen ihrer Kunstfigur, die die 31-Jährige sowohl vor als auch größtenteils hinter der Bühne wie eine Rüstung trägt. Jetzt kommt auch noch eine Krone hinzu. Immerhin hat Eckhart mit einer Truppe aus dem Erzgebirge Berlin eingenommen und sich zur Kaiserin von Ostdeutschland und Österreich gekrönt. Nun regiert „Stasi die Erste“ also mit harter Hand – und mit vergleichsweise weichem Witz. Denn trotz der majestätischen Ausgangslage ist das aktuelle (und dem Vernehmen nach möglicherweise letzte) Programm der Kabarettistin weit weniger provokant als die vorhergehenden. Zwar hat sie Sprach- und Denk-Tabus noch immer noch im Visier, doch gibt sie sich inzwischen versöhnlicher. Braver. Kurzweiliger. Und gewöhnlicher. In Bonn hat sie nun an gleich zwei aufeinander folgenden Abenden im Rahmen von „Quatsch keine Oper“ die Herrschaft über den Boeselagerhof übernommen.

In den vergangenen Jahren haben nur wenige Kabarettistinnen und Kabarettisten so sehr polarisiert wie Lisa Eckhart. Sie, die sich grundsätzlich über jedes Tabu hinweggesetzt hat, weil das Leben und auch der Humor derartiges nicht kennen, hat mit ihren scharfzüngigen, zynischen, tiefschwarzen Art viele Menschen vor den Kopf gestoßen, die sich mit Wonne an ihr gerieben haben. Ihr hat man Antisemitismus und Rassismus vorgeworfen, oft ohne die Programme in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Andererseits war es gerade diese Doppelbödigkeit, die Eckart aus der Masse hervorhob, dieses Spiel mit der bewussten Provokation, nur um dann dem lachenden Publikum den Spiegel vorzuhalten, so wie es außer ihr nur der „Hassias“ Serdar Somuncu getan hat. Und der hat inzwischen auch abgedankt, nicht zuletzt wegen der ständigen Diskussionen über die Grenzen des Humors.

 

Ganz so weit ist Lisa Eckhart noch nicht, aber Konsequenzen hat sie zweifelsfrei schon gezogen. Die satirische Brillanz ihrer Sezierung der Sieben Todsünden, bei der gefühlt jeder zweite Satz eine Provokation war (für die sie heftigst attackiert wurde) und die von großen narrativen Bögen lebte, ist einem verbalen Kugelhagel gewichen, mit unzähligen Pointen, die in Sekundenschnelle den Mund der 31-Jährigen verlassen und die doch längst nicht so hart treffen wie die weit ausholenden Schläge mit der Sprach-Sense, die Eckart meisterhaft zu führen verstand. Statt der langen, philosophisch-reflektierenden Form ist sie nun beim Stand-Up gelandet, und obwohl der Wiener Schmäh, den die inzwischen in Leipzig lebende Österreicherin pflegt, weiterhin viele ihrer Pointen veredelt, fehlt ihnen die Zeit, um auf dem Weg zwischen Mund, Ohr und Gehirn angemessen zu reifen. Viel zu schnell löst sie diese auf und gerät dadurch ständig in die Gefahr, nur Stammtischparolen und Klischees anzubieten statt durchdachten und trotzdem zielsicheren Überlegungen. Immerhin will sie als Kaiserin allen gerecht werden und zudem ihren Masterplan erklären, der auf der Abschaffung aller Maschinen und einer Vollbeschäftigung der Bürgerinnen und Bürger je nach Eignung basiert. Letzteres wird aber dann schon plakativ: Alle Kleinwüchsigen braucht „Stasi die Erste“ als Ampelmännchen, alle Kinder für den Bergbau (weil ja jetzt „die Zwerge“ fehlen) und alle anderen als Sklaven ihrer Willkür. Sie heizt mit Fieberkranken und Frauen in den Wechseljahren, überlässt die Krankentransporte den Lieferando-Fahrern (aufgrund des Verbots von Autos die einzig logische Konsequenz) und masturbiert mit Parkinson-Patienten. Das ist banal, mehr nicht.

Das soll nicht heißen, dass Kaiserin Stasi permanent unter ihren Möglichkeiten bleibt – zumal sie selbst schlechte Pointen bissiger und süffisanter von sich geben kann als alle anderen Kabarettistinnen auf deutschen Bühnen. Nur schockieren, das kann sie nicht mehr. Selbst wenn sie über Kannibalismus als Alternative zum Veganismus spricht, ist das lediglich ein vorhersehbarer Reflex, aber keine große Kunst mehr und erst recht keine gute Form. Dabei hätte sie beides problemlos ändern können, denn über eine gewisse Struktur verfügt Eckhart schon, die sich in vier Akten von der motivierten zur desillusionierten und schließlich aufgebenden Kaiserin wandelt. Ebenso hat sie durchaus etwas zu sagen, wie einzelne Perlen in ihrer Pointenflut zeigen, über Dekadenz und Gier („Ist es ein Fortschritt, wenn unsere Armen nicht mehr verhungern, sondern verfetten?“), über Prüderie und Zwang, über Wahn und Weisheit. Und über Humor: „Der braucht kein Tabu zu kennen“, sagt Lisa Eckhart in einem ihrer selbstreflexivsten, authentischsten Momente, „denn auch das Leben kennt keins.“ Demnach kann, nein muss man geradezu über alles lachen können, auch weil Humor selbst die schlimmste Situation ertragbar macht. Insofern ist das Kaiserinnen-Programm weniger eine Abrechnung oder gar eine Analyse, sondern ein finaler Rettungsversuch angesichts dramatischer Umstände, sowohl in Deutschland als auch in der Welt. Nein, brav ist dieser Ansatz wirklich nicht, erst recht nicht angesichts des Eckhartschen Stils. Aber er ist – vor allem für die Kunstfigur Lisa Eckhart – vielleicht versöhnlich. Immerhin.

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