Tommy Jaud: Bekenntnisse eines Punktoholikers

Es ist eine ungewöhnliche Konstellation: Tommy Jaud, Autor der beiden erfolgreich verfilmten Romane „Vollidiot“ und „Resturlaub“, ist in der eher für Blues und Rock bekannten Harmonie nun wirklich keiner der üblichen Verdächtigen. Das könnte sich nach dem vergangenen Donnerstag aber  ändern, zumindest wenn Andrang und Applaus als Maßstäbe angelegt werden. Der Saal war nahezu ausverkauft, Jaud, gut drauf und die von ihm ausgewählten Kurzgeschichten, geboren aus dem Irrsinn des Alltags, kamen hervorragend an. Zu Recht, waren die skurrilen Abrechnungen des bekennenden Punktoholikers mit Payback-Karten, natürlicher Dummheit und dem Miele-Vogel doch ebenso spritzig wie prägnant, gut strukturiert und mit einem feinen Gespür für die richtigen Pointen zur richtigen Zeit. Von den vermeintlichen Schwächen der Romane, die einige Kritiker bemängelten, gab es an diesem Abend auf jeden Fall keine Spur.

Jauds Talent besteht darin, wie ein guter Poetry Slammer gesellschaftliche Eigenheiten konsequent zu überzeichnen und sie in unglaublich witzige Texte zu übertragen. Ob es nun um den ausnahmsweise pünktlichen ICE nach Kassel geht, dessen Lokführer zunächst ärgerlicherweise unauffindbar war (er hatte sich im Zug geirrt) und der damit nach einer längeren Verspätung zumindest das Vertrauen auf die Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn wiederherstellte, oder ob die persönliche Katastrophe des Erzählers mit dem fehlenden Aufreißfaden der Prinzenrolle begann (und nach dem Versprechen auf ein neues Buch auch wieder schwand), stets hatten die kollektiv versammelten Zwerchfell-Muskeln einiges zu tun, und auch wenn eine Fitness-Uhr dies im Zweifel nicht als Sport anerkennt, war es doch für das Wohlbefinden des Publikums von unschätzbarem Wert. Lediglich die Geschichte eines Versuchs, dümmer und dadurch zufriedener zu werden, ging in die Hose, da die wirre Handlung ein bisschen zu bemüht um Komplexität rang und darüber den Reiz der Schlichtheit ignorierte. Das Ergebnis war nicht per se schlecht, konnte aber das Niveau der anderen Geschichten Jauds nicht erreichen. Diese waren weitaus konkreter, präziser, klarer, frei von Abschweifungen und Erörterungen. Mitunter reichte schon das Gezwitscher eines Vogels, der die Tonsignale von Jauds Waschmaschine imitierte, um diesen zur Weißglut und das Publikum zum Lachen zu bringen. So entwickelte sich ein sehr unterhaltsamer und kurzweiliger Abend – vielleicht sogar mit einer Fortsetzung.

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