„Stück Plasik“: Kunst im Dreck

Bei Ulrike und Michael ist alles kaputt. Dabei sieht es nach außen hin doch ganz anders aus: Er ein erfolgreicher Arzt, sie die Assistentin eines Konzeptkünstlers, beide gut verdienend. Nur eben nicht glücklich. Ulrike mimt die versnobte Kunstmarkt-Expertin und nimmt jede Gelegenheit wahr, um ihren an sich sanften Gatten fertigzumachen, während er sich heimlich wünscht, sie würde einfach gehen und ihn in Ruhe lassen. Dazwischen dann noch Sohn Vincent – und der ebenso nihilistische wie arrogante Serge Haulupa, seines Zeichens Chef von Ulrike und derzeit in einer kreativen Krise, deren Folgen er nicht nur an seiner Mitarbeiterin, sondern auch an deren bourgeois-biederen Mann auslässt.

Eine gefährliche Gemengelage, die den Ausgangspunkt für Marius von Mayenburgs tiefschwarzer Satire „Stück Plastik“ bildet. Dann aber stellt Ulrike Jessica ein, eine ruhige Südostasiatin aus Halle, die zunächst nur kocht und putzt, aber zunehmend zur primären Ansprechpartnerin in diesem dysfunktionalen Haushalt und zur Muse wider die verdreckte Welt wird. So wird die Szenerie zunehmend zu einem Amalgam aus Phrasen zur Umweltverschmutzung, zur unteren Oberschicht und zu einer Kunst, die lieber sich selbst als die Welt reflektiert. Jetzt hat das Theater Rampös das Stück auf die Bühne der Brotfabrik gebracht.

„Stück Plastik“ reiht sich nahtlos in die bisherigen Produktionen ein, die – außergewöhnlich für ein Laien-Ensemble – immer wieder existenzielle Fragen stellen und bei allen komödiantischen Elementen stets zum Nachdenken anregen wollen. Dabei verzichtet das Theater Rampös weitgehend auf die sonst so beliebten Klassiker, die sowohl für Ensemble als auch für das Publikum in der Regel eine sichere Bank sind, und wagt sich stattdessen gerne an zeitgenössische Stoffe heran. Mit Erfolg, wie jetzt auch Marius von Mayenburgs brachial-komische Abrechnung mit jenem Teil der Gesellschaft beweist, der Millionen für ein aus einfachen Farbflächen bestehendes Gemälde bezahlt, innerlich aber völlig ausgehöhlt ist – nicht ohne Grund setzt „Stück Plastik“ in mehr als einer Hinsicht das Schaffen von Yasmina Reza fort. Die grotesken Kunstvisionen von Serge Haulupa, den Alexander Bluhm mit sichtlichem Vergnügen am Wahnsinn auf überaus hohem Niveau spielt, ist aber nur ein Teil der Kritik; seine abfälligen Bemerkungen über jeden, der seinem eigenen Ego im Wege steht, werden mitunter derart heftig, dass der ein oder andere im Publikum unweigerlich die Luft anhält. „Das Problem ist nicht, dass ich im Luxus lebe“, sagt ausgerechnet er, der sich gewissermaßen als Schmarotzer in das Haus von Ulrike (Simone Nowotny) und Michael (Jan-Hendrik Schrötter) eingenistet hat, „sondern dass alle anderen es nicht tun.“ Wer nun einmal nicht alles wagt, kann auch nicht alles gewinnen. Dass man dazu auch mal zum egozentrischen Mistkerl werden muss, der Jessica (Lucky Setyarini, die ihre Rolle mit oft nur winzigen Gesten zum Leben erweckt und eine herrlich lakonische Art an den Tag legt) in einem Umfeld aus Müll und Dreck in Szene setzen möchte, ist allerdings ein guter Grund, auf besagten Luxus zu verzichten.

Auf der geschickt eingerichteten Bühne, die die begrenzten Möglichkeiten der Brotfabrik voll ausnutzt, entwickeln sich nun die verschiedenen Dramen und Tragödien: Der gnadenlos überzeichnete Künstler auf der Suche nach einer neuen Kunst, die sich in zahlreichen Streitgesprächen offenbarende Beziehungskrise zwischen Ulrike und Michael und der Versuch des voyeuristisch veranlagten Vincents, sich selbst zu finden. Das gelingt dem 14-jährigen Tom Bierwirth wirklich glänzend, der seiner Figur am Ende mit Make-Up und Glitzerkleid eine wunderbare neue Facette verleiht – ein Auftritt, der durchaus Mut erfordert. Respekt dafür. Nur schade, dass daraus nichts mehr erwächst und das Stück relativ abrupt endet. Das mindert das Vergnügen an dem rhetorischen und schauspielerischen Feuerwerk allerdings nicht.

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