„Was fehlt uns zum Glück?“: Fragen über Fragen

Die Themen sind an diesem Abend auf der Werkstattbühne breit gestreut: Es geht um Glaube und Hoffnung, Ehe und Humor, Geld, Eigentum und das Verhältnis zur Natur. Und um Menschlichkeit. Wer allerdings auf klare Positionen hofft, auf konkrete Aussagen zur Welt und zur Gesellschaft, der wird enttäuscht. Antworten gibt es in Max Frischs „Was fehlt uns zum Glück?“ nicht, Fragen dafür umso mehr. 350, um genau zu sein. Zehn Bögen mit je 25 Fragen hat Frisch in seinem zweiten literarischen Tagebuch über die Jahre 1966 bis 1971 niedergeschrieben, vier weitere wurden auf Anraten des Verlags gestrichen und erst 2019 veröffentlicht. Jetzt haben Regisseurin Katrin Plötner und Dramaturgin Sarah Tzscheppan dieses Material in eine Bühnenfassung umgearbeitet und auf der Werkstattbühne des Theater Bonn zur Uraufführung gebracht. Aber 90 Minuten nur mit Fragen – kann das gutgehen?

Ja, es kann, was nicht nur an der Qualität des Textes liegt, sondern auch an der geschickten Art, wie sie gestellt werden. Wilhelm Eilers, Christoph Gummert, Alois Reinhardt, Lydia Stäubli und Sandrine Zenner geben jedem Fragezeichen eine eigene Färbung, stellen mal unschuldig, dann wieder neugierig, mitunter auch augenzwinkernd existenzielle Fragen, während sie sich auf der weiß gekachelten und blau gefugten Bühne mal sich selbst zuwenden und mal dem Publikum. „Fällt es dir leichter, ein Kollektiv zu hassen oder eine einzelne Person?“, heißt es dann zum Beispiel, „und hasst du einfacher alleine oder im Kollektiv?“ Oder: „Wie oft muss sich eine bestimmte Hoffnung nicht erfüllen, damit du sie aufgibst?“ Und: „Was, meinen Sie, nimmt man Ihnen übel und was nehmen Sie selbst übel, und wenn es nicht dieselbe Sache ist: wofür bitten Sie eher um Verzeihung?“ „Wenn Sie Macht hätten zu befehlen, was Ihnen heute richtig scheint, würden Sie es befehlen, gegen den Widerspruch der Mehrheit? Falls nein: Warum nicht, wenn es Ihnen richtig scheint?“

Zugegeben, in manchen Momenten fehlt streng genommen ein Referenzrahmen oder zumindest eine Definition für das Gefragte, aber schon das ist letztlich nur eine Weiterführung jenes Prozesses, den Frisch angestoßen hat. Denn plötzlich stellt sich eben unterbewusst die Frage nach der Moral, nach dem Glauben, nach Recht und Unrecht. Was ist das? Für einen selbst und für die anderen? Schon eröffnet sich fast schon automatisch ein philosophischer Diskurs, der viel zu selten geführt wird. Gleichzeitig versucht die Inszenierung aber, die Schwere dieser Fragen abzufedern und sie mitunter aufzulösen. Immer wieder tritt das Ensemble in ein geradezu kindliches Spiel ein und wird dabei immer alberner: Aus dem anfänglichen Entdecken geometrischer Formen heraus entwickeln die Schauspielerinnen und Schauspieler immer absurdere Interaktionen, lassen einen Weihnachtsbaum „Am Brunnen vor dem Tore“ singen, verkleiden sich als Dinosaurier (die Anspielung auf „Jurassic Park“ ist herrlich) und landen am Ende in einer gigantischen Farbschlacht. Und die Fragen? Sind angesichts der Heiterkeit auf einmal nicht mehr so wichtig. Vielleicht ist die Antwort also einfach, nicht immer alles so ernst zu nehmen. In der Werkstatt hat das zumindest funktioniert: Das Publikum, das von der ein oder anderen Frage sehr wohl getroffen wurde, hatte auf jeden Fall großen Spaß und dankte dem Ensemble mit herzlichem Applaus.

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