„Das Tribunal“: Dystopie für Dinosaurier

Die Welt brennt, und die Dinosaurier sind schuld. So bezeichnen die Jugendlichen in Dawn Kings Dystopie „Das Tribunal“ die Erwachsenen, also die Generationen von heute, die um die Klimakrise wussten und dennoch nichts taten. Oder auf jeden Fall nicht genug. 25 Jahre in der Zukunft hat das die längst prognostizierten Folgen: Ein Extremwetter folgt auf das nächste, Hitzewellen und Flutkatastrophen, Dürren und Unwetter bestimmen den Alltag. Und die „Dinosaurier“ stehen vor Gericht, angeklagt von den 12- bis 17-Jährigen, die darüber entscheiden sollen, ob die Untätigkeit des beziehungsweise der Einzelnen entschuldbar ist oder ob sie schuldig im Sinne der Anklage sind und dafür hingerichtet werden müssen, nicht zuletzt um die kostbaren und knappen Ressourcen zu schonen. Jetzt greift das Junge Theater Bonn (JTB) das Stück auf und skizziert eine Welt, in der Kinder ihre Eltern verurteilen – und dabei selbst jedes Maß vermissen lassen.

Auf den ersten Blick wirkt Kings Stück, das ursprünglich als Auftragsarbeit für das Stadt:Kollektiv und das Schauspiel Düsseldorf entwickelt wurde, seltsam plump: Die Argumente der Jugendlichen sind schwach, repetitiv und eher spekulativ denn stichhaltig, ihre Positionen von Emotionen bestimmt. Letzteres ist nachvollziehbar, hat doch jeder von ihnen bereits Angehörige durch die klimatische Apokalypse verloren, so dass Wut und Zorn die Debatten dominieren und Charaktere wie der junge Mohammad(Zoltan Selo), der Mitgefühl empfindet und sich im Zweifel für die Angeklagten ausspricht, in der Minderheit sind. Dennoch wirkt es absurd, wie sie etwa die Zahl der Kinder oder die Art der Ernährung als Kriterien für die Schuld oder Unschuld der Angeklagten heranziehen, wie sie die Stücke einer Theaterautorin (Sandra Kernenbach) als unnötige Verschwendung von Ressourcen verdammen oder wie sie sich im wahrsten Sinne des Wortes an die Gurgel gehen, wenn die anderen nicht auf ihrer Seite sind. Das verbale Verhalten der Jury entspricht dem in den Sozialen Medien, ist unreflektiert, dogmatisch, statisch und mitunter sogar fahrlässig, insbesondere wenn die Begrenzung des persönlichen CO2-Ausstoßes, die als zentrale Kennzahl rückwirkend den Angeklagten angelastet wird, mit einem Verweis auf die Nürnberger Prozesse relativiert wird. Dadurch mutiert die Verhandlung zur Farce. Was aber (hoffentlich) auch das Ziel der Inszenierung sein dürfte.

Angesichts der argumentatorischen Borniertheit der Ankläger springt die Sympathie des Publikums nach und nach auf die Angeklagten über, die schließlich weder der politischen Führungsebene noch der Konzernwelt angehören, sondern ganz normale Eltern aus der Mitte der Gesellschaft sind. Gerade einmal fünf Minuten hat jeder der Drei Zeit, um sich zu verteidigen und zu erklären, und obwohl dabei einige Ausreden zu Tage treten, die schon im heutigen Diskurs allgegenwärtig sind (etwa die zur persönlichen Machtlosigkeit angesichts eines kapitalistischen Systems), führen sie doch auch wichtige Ansätze ins Feld und bitten um Vergebung, wenn schon nicht um Verständnis. Allerdings vergebens: Das Tribunal lässt sich lieber von Emotionen statt von Argumenten leiten und will die Verhandlungen ohnehin möglichst schnell hinter sich bringen. Eine Figur wie Mohammad, der lieber jeden Fall detailliert betrachten will, ist dabei ein unliebsamer Störfaktor, der kurzerhand überstimmt wird. So erweist sich „Das Tribunal“ auch als Gegenentwurf zu Sidney Lumets filmischem Meisterwerk „Die zwölf Geschworenen“, nur ohne dessen argumentatorische Tiefe. Und ohne die Maxime der Einstimmigkeit. Gerade das ist die eigentliche Dystopie. Wenn die Generationen, die nach uns kommen, keinen Platz mehr für Gnade und Vergebung haben, sondern nur noch für Rache unter dem Deckmantel der knappen Ressourcen.

Das junge Ensemble des JTB bemüht sich redlich, den mitunter recht eindimensionalen Figuren Charakter zu geben, was vor allem Lotta Lurch als Jury-Vorsitzender Ren sowie Niklas Windeck als dem faulen, aber auch komischen und sehr fantasievollen Tomasz erfreulich gut gelingt. Letzterer sorgt denn auch für einige der bewegendsten weil poetischsten Momente des Stücks, das mit einem privaten Schicksalsschlag und drei Hinrichtungen endet. Und mit der Frage, ob – bei allem Verständnis für die Wut der Mitglieder des Tribunals – so Gerechtigkeit aussieht. Nicht nur das Klima ist schließlich in einer Krise, sondern auch die Gesellschaft mit ihren Idealen, ihren Normen und Werten. „Das Tribunal“ zeigt was passiert, wenn beides kippt. Hoffentlich kommt es nicht dazu.

Die nächsten Vorstellungen
21.9., 20.10., 3.11. und 7.12., jeweils um 30 und um 19.30 Uhr im Jungen Theater Bonn. Tickets erhalten Sie unter www.jt-bonn.de.

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