„Von Mäusen und Menschen“: Der amerikanische Alptraum

Das Land stirbt. Die Dürre treibt die Menschen vor sich her, allen voran die Feldarbeiter und Tagelöhner, die auf der Suche nach Arbeit vom verdorrten Süden aus in Richtung Norden wandern, um irgendwie über die Runden zu kommen und sich doch einfach nur nach einem Platz sehnen, den sie Heim nennen können. Auch George und der etwas beschränkte Lenny ziehen in John Steinbecks Novelle „Von Mäusen und Menschen“ von einer Farm zur anderen, sich nach einem kleinen Stück Land mit einem Haus und Kaninchenställen sehnend, einem Ort der Zuflucht in einer immer egoistischer und feindseliger werdenden Welt. Dafür, so der Plan, müssen sie nur ein wenig sparen. Und ganz schön viel schuften. Doch Lenny zieht mit seinen unkontrollierbaren Bärenkräften das Unheil quasi an und zerstört ungewollt alles, was er behüten und bewahren will: Eine Maus, einen Welpen, eine Frau. Selbst den Amerikanischen Traum. Nun hat Regisseur Simon Solberg diesen Stoff für das Theater Bonn inszeniert – und die tragische Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft in ein rund 90-minütiges Musical verwandelt.

Erstaunlicherweise geht Solbergs ungewöhnliche Genre-Transformation bis zu einem gewissen Grad auf, was nicht zuletzt daran liegt, dass der 44-Jährige auf die sonst von ihm geliebten Ausstattungsorgien verzichtet und die Bühne auf das Notwendigste reduziert. Grobkörniger Sand, Holzkisten und Paletten sowie eine rot glühende Sonne, das genügt, um die Plackerei der Lohnknechte auf den wüsten Ländereien zu skizzieren. 30 Cent pro Stunde, mehr ist dabei nicht drin – und selbst als der Sohn des Farmbesitzers, Curley (Max Wagner), aus Rache für seine von Lenny (Daniel Stock) in Notwehr zerschmetterte Hand die Bezahlung noch weiter nach unten drückt, trauen sich die Arbeiter nicht, aufzubegehren. Lieber wenig Geld und zumindest noch die Illusion von Hoffnung als gar kein Geld und das Ende des Traums. Dieser Kerngedanke, der sich wie ein roter Faden durch Steinbecks Text zieht und der den alten, einarmigen Putzmann Candy (Wolfgang Rüter) ebenso umtreibt wie George (Paul Michael Stiehler) und Lenny, arbeitet das Ensemble geschickt heraus, ohne sich darin zu verlieren und ihn mit Verweisen auf die Gegenwart zu überfrachten. Stattdessen bleibt der Text ebenso reduziert wie die Bühne; umso bemerkenswerter ist, dass die Parallelen zu Klimawandel und globalen Flüchtlingsströmen dennoch mitschwingen, was die Zeitlosigkeit von Steinbecks Novelle bezeugt. Gleiches gilt für das persönliche Drama der beiden Protagonisten, die eigentlich doch nur ein kleines bisschen Glück suchen und sich eigentlich auf der Farm von Curleys Vater bedeckt halten wollten – doch als Curleys namenlose Frau (Julia Kathinka Philippi) die Arbeiter zu manipulieren versucht und am Ende von Lenny versehentlich erwürgt wird, ist es mit dem ersehnten Happy End vorbei.

All das setzt das Bonner Ensemble überzeugend um. Fraglich ist allerdings, ob die Skelettierung der ohnehin nicht allzu üppigen Vorlage zu Gunsten der Musik in diesem Umfang angemessen ist. Rund die Hälfte der Inszenierung besteht aus Songs, gesungen vom Ensemble und gespielt von drei Live-Musikern. Dabei kommt David Bowies „Heroes“ als gemeinsames Stück von George und Lenny eine zentrale Rolle zu – ansonsten dominieren Country-, Indie-Rock- und Americana-Nummern von Größen wie Taylor Swift („Shake It Out“) oder Peter Gabriel („My Body Is A Cage“), aber auch von Geheimtipps wie Woodkid („Run Boy Run“) oder Jackson Browne und David Lindley („Crow On The Cradle“). Songauswahl und Arrangements sind dabei exzellent, verlangen dem in typisch Solbergscher Manier herumstolpernden Ensemble aber mitunter ein bisschen zu viel ab, ebenso wie dem Publikum, dass nach der gefühlt dreißigsten Wiederholung bestimmter melancholischer Riffs und Harmonieführungen zumindest zum Teil ein wenig mehr gesprochenes Theater herbeisehnt. Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit zentralen Themen wie Einsamkeit und Machtlosigkeit ist in der vorliegenden Form auf jeden Fall nicht möglich. Wer damit gut leben kann, darf sich auf einen musikalischen, mitunter durchaus komischen und dann wieder berührenden Abend mit starken Bildern freuen.

 

 

Weitere Aufführungen: 23., 27. und 29. September sowie 6., 19. und 18. Oktober jeweils um 19.30 Uhr im Schauspiel Bad Godesberg. Karten an allen bekannten Vorverkaufsstellen.

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