„The Picture of Dorian Grey“: Ein Bild der Schuld

Das Euro Theater Central tritt derzeit gezwungenermaßen auf der Stelle. Drei Jahre nach dem Umzug in die Budapester Straße ist das neue Haus – nicht zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie und fehlender Handwerker – noch immer eine Baustelle, die Räume noch nicht präsentabel, der geplante Theatersaal nur in der Vorstellung vorhanden. Umso wichtiger ist es, Lebenszeichen von sich zu geben, was dank der Außenbühne im Innenhof zumindest ansatzweise möglich ist. Nun hat das Euro Theater mit einer englischsprachigen Adaption von Oscar Wildes einzigem Roman „The Picture of Dorian Grey“ genau dies realisiert und gleichzeitig seine Bereitschaft für Experimente signalisiert. Immerhin sind sowohl die vier Schauspieler als auch die Bühnenbildner und Kostümverantwortlichen zum ersten Mal am Haus tätig, während sich Johannes Neubert zwar schon als Darsteller, nicht aber als Regisseur seine Meriten verdient hat. Angesichts der umjubelten Premiere wird dieses Wagnis durchaus goutiert – auch wenn ein großer Teil des Potenzials von Ensemble und Stück letztlich ungenutzt bleibt.

Dabei ist die Ausgangsbasis eigentlich ideal. Die Erzählung über den jungen Dandy Dorian Grey, dessen Porträt an seiner statt altert und angesichts der Ausschweifungen des Abgebildeten verkommt und verfällt, ist der wohl berühmteste Stoff Wildes, dessen verschiedene Facetten in den verschiedenen Figuren zum Leben erwachen und einen direkten Zugang zum Autor und seinem Gesamtwerk ermöglichen; die für Bühnenbild und Kostüme Verantwortlichen Lea Montalbelli und Fabio Nolting sind nicht nur kreativ, sondern auch im besten Sinne des Wortes hungrig; und das spielfreudige Ensemble aus Muttersprachlern, das Neubert zusammengestellt hat, erweist sich als überaus stark, wenn man es nur machen lässt. Insbesondere Eifion Ap Cadno in der Rolle des zynischen, scharfzüngigen Mentors Lord Henry Watton ist grandios, ebenso wie Paul Brayward als sensibler Maler Basil Hallward, während Maylin Conde zwar als Lady Wotton brilliert, als Sybil Vane aber etwas zu kindisch und affektiert wirkt. Und Hauptdarsteller Dominic Charman? Muss die Metamorphose vom naiven Jüngling zum abgebrühten, gewissenlosen Lebemann mitunter recht sprunghaft umsetzen, findet aber vor allem gegen Ende genau das richtige Maß an Verzweiflung und Arroganz.

Dennoch bleibt das Stück, bei allem Lob für das Team auf und hinter der Bühne, letztlich zu brav und zu bräsig im Ton, gleichzeitig aber zu hektisch in den Szenenwechseln. So gehen Zeitsprünge verloren (immerhin vergehen im Text mehr als 18 Jahre), fehlen Motivationen und Ambitionen, Skandale und Mysterien, runtergebrochen oder gar ausgemerzt bei dem Versuch, die Spielzeit auf 100 Minuten zu begrenzen. Immerhin, das gelingt, allerdings unter anderem zu Lasten der Schlussszene, in der Dorian Grey sein (im Stück niemals sichtbare) Porträt ersticht und damit den Zauber bricht. Die Folgen seines Handelns, die nach dem Suizid der in Grey verliebten und von diesem verlassenen Sybil Vane ohnehin ausgeblendet werden, bleiben ungesehen. Somit bleibt die Frage offen, was Regisseur Neubert mit seiner Inszenierung tatsächlich zeigen und aussagen wollte, welche Rechtfertigung „The Picture of Dorian Grey“ also auf dem Spielplan hatte. Die Antwortmöglichkeiten sind mannigfaltig, und angesichts der Leistungen des Ensembles hätte fast jede umgesetzt werden können. Stattdessen herrscht Schweigen. Was einfach zu wenig ist. Dennoch erhält das Stück bei der Premiere herzlichen, lang anhaltenden Applaus für eine Inszenierung eines Klassikers, die durchaus solide war. Nur eben nicht sonderlich ambitioniert.

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