„Pussy Riot“: Der Punk fehlt

41 Sekunden der radikalen Provokation – vor zehn Jahren hat das feministische Punk-Kollektiv Pussy Riot damit nicht nur in Russland, sondern weltweit für Aufsehen gesorgt. 41 Sekunden vor dem Altar der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale, um gegen Kirche und Staat zu protestieren, gegen den Machtapparat von Wladimir Putin und gegen den Ausverkauf der christlichen Orthodoxie durch den Patriarchen Kyril I. Wegen „Anstiftung zu religiösem Hass“ und „Rowsdytums“ verurteilte ein Gericht daraufhin Nadeschda Tolokonnikowa und zwei ihrer Mitstreiterinnen zu zwei Jahren Lagerhaft. Nun hat das Theater Bonn versucht, Tolokonnikowas Leben und ihr Manifest „Anleitung für eine Revolution“ szenisch erfahrbar zu machen, wurde der Vorlage aber nicht gerecht. Denn obwohl das Ensemble die Geschehnisse in 60 Minuten detailliert aufarbeitete, strichen sie ein zentrales Element: Den Punk. Und ohne Punk ist Pussy Riot nicht denkbar.

Schon vor der Aktion in der Kathedrale setzte Pussy Riot auf kurze, dafür aber umso intensivere Performances, auf ein Trommelfeuer aus Parolen, untermalt von brachialen Klängen. Max Immendorf und Linda Belinda Podszus, die jetzt in der Bonner Inszenierung für Konzept, Regie und Bühne verantwortlich sind und auch zusammen mit Birte Schrein auf der Bühne stehen, beschreiben denn auch explizit, wie die Aktivistinnen mit von Autobatterien betriebenen Verstärkern auf dem Rücken losziehen, um innerhalb von Sekunden mit krachenden Gitarren auf sich aufmerksam zu machen. Nur sieht oder hört man an diesem Abend davon nichts, keine Wut auf Putin und seine Kumpane bei FSB und KGB, kein Anprangern des politischen Systems Russlands, keine Verzweiflung angesichts einer immer noch großen Unterstützung des Kremls durch die Bevölkerung. Als Marija Alyochina, eine weitere verurteilte Pussy-Riot-Mitstreiterin, vor nunmehr vier Jahren in der Bonner Harmonie zu Gast war, klang das anders: Damals feuerten sie und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus allen Rohren, waren laut und grell und schreckten auch nicht vor Wasser-Attacken zurück,  um das Publikum aufzurütteln. „Verzweifelt, unerwartet und lustig, genau so muss Protest sein“, propagierte Alyokhina dazu. Auf der Werkstatt-Bühne des Theater Bonn ist man davon meilenweit entfernt. Statt sich als „Riot Grrrls“ zu zeigen, als Hardcore-Punkerinnen in der Tradition von Bikini Kill und als Aktivistinnen mit einer ebenso intellektuellen wie emotionalen Botschaft, bleiben Podszus, Schrein und Immendorf (bei einem Stück über eine feministische Gruppe als Mann schlichtweg eine Fehlbesetzung) distanziert, sachlich und scheinbar unberührt. Als Informations- beziehungsweise Aufklärungs-Veranstaltung ganz nett, als Theater aber zu brav. Nur Birte Schrein versucht mitunter, auszubrechen und etwas lauter zu werden, während Linda Belinda Podszus als Nadeschda Tolokonnikowa trotz martialischer Aufmachung eher verletzlich als kämpferisch wirkt.

So erfreulich es auch ist, dass sich ein städtisches Theater gerade in der heutigen Zeit mit Texten wie den Pussy-Riot-Manifesten auseinandersetzt und damit den Blick auf die gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen lenkt, die den Aufstieg Putins zum Diktator zumindest partiell beleuchten, so enttäuschend ist die blutleere Umsetzung, die erst gegen Ende, bei der Beschreibung des Straflagers IK-14 in der russischen Republik Mordwinien, ansatzweise zu berühren beginnt. Eine „Anleitung für eine Revolution“ sieht anders aus. Eine Würdigung von Pussy Riot auch. Die müsste provokativer sein. Kritischer. Und vor allem lauter.

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