Leon Windscheid: Von Pavianen und Schleimpilzen lernen

Der Steinzeitmensch ist noch in uns. Impulsgesteuert und recht einfach gestrickt, kann er im Angesicht des Fremden und Unerwarteten entweder flüchten oder zuschlagen. Meistens letzteres. Physisch oder verbal, das macht da keinen großen Unterschied. Jahrtausende hat dieses Prinzip gut funktioniert, doch in den letzten Jahren  – evolutionsgeschichtlich betrachtet – stoßen wir mit den etablierten Mustern zunehmend auf Probleme. Erst der Ackerbau, dann der Buchdruck und die Industrialisierung haben die Welt nachhaltig verändert, und jetzt steht mit der Digitalisierung eine neue und vor allem unbegreifliche Revolution bevor, die selbst rational kaum zu erfassen ist. Geschweige denn emotional.

Kein Wunder also, dass der Mensch nicht mehr mitkommt. Hirn und Welt haben sich entfremdet, alles ist aus den Fugen. Zeit also für einen Besuch bei einem Psychiater. Oder aber bei Leon Windscheid. Der 31-Jährige hat jetzt im Haus der Springmaus versucht, seinem Publikum im Rahmen seines Programms „Altes Hirn, neue Welt“ einen kleinen Einblick in den menschlichen Geist zu geben. Mit teils überraschenden Erkenntnissen.

 

Allzu fachlich wird der studierte Psychologe und promovierte Wirtschaftswissenschaftler (ja, diese Differenzierung ist wichtig) natürlich nicht. Immerhin will er mindestens ebenso sehr unterhalten wie aufklären, und das gelingt ihm erstaunlich gut. Seine Mischung aus politischem Kabarett, Infotainment und der ein oder anderen Küchenweisheit kann zwar oft nur an der Oberfläche kratzen, bringt das staunende Publikum aber dennoch immer wieder dazu, sich zu hinterfragen. Bin ich wirklich so klug, wie ich immer glaube? Warum sehe ich bestimmte Muster und andere nicht? Und was würde passieren, wenn ein Computer jetzt gerade aus meinen Gedanken ein Bild herauslesen würde? Und ja, das geht inzwischen. So weit ist die Technik schon, wenn auch nicht der Mensch. Denn während sich die Welt immer weiter entwickelt, getrieben von immer neuen wissenschaftlichen Durchbrüchen, ist das Sozialkonstrukt des Homo Sapiens in weiten Teilen weniger entwickelt als das einer Pavian-Horde. Die kann sich immerhin anpassen und innerhalb einer Generation neue, friedliche Gesellschaftsstrukturen entwickeln, wenn denn nur mal die ganzen asozialen Tiere in ihrer Gier krankes Fleisch in sich hineinschlingen und daran zu Grunde gehen. Auch eine Art von Auslese. Doch die ist in unserer Welt nicht mehr vorgesehen. Also müssen wir andere Lösungen finden. Und zwar schnell. Bevor die Schleimpilze es tun.

Die präsentiert Windscheid nämlich zwischen allerlei Internet-Memes, Video-Miniclips und den üblichen Gemeinplätzen über Burn-Out in der Schule und Plastikmüll in den Meeren auch. Die Einzeller können zugegebenermaßen nicht allzu viel, sind aber effizient, etwa beim Bau eines Autobahn-Netzes quer durch die USA. Und die wählen noch nicht einmal Donald Trump. Gleich zwei Gründe, von den Schleimpilzen zu lernen. Dadurch sind die Einzeller zwar nicht intelligenter als die Menschen, ebenso wenig wie Computer, aber auf derartige Feinheiten kommt es Windscheid gar nicht an. Er will nur, dass wir uns den Veränderungen stellen, anstatt sie zu abzulehnen. Das Fremde annehmen und das Andersartige, anstatt es als „wider die Natur“ abzustempeln. Kurzum, dass wir uns emanzipieren von dem Troglodyten in uns. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen, dafür ist die Evolution einfach zu langsam. Aber wenn Paviane es besser machen können, hat die Menschheit vielleicht zumindest eine kleine Chance.

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