Jazzfest 2019: Ungewohnte Adaptionen

Retro ist wieder in. Wenn die Ästhetik des Gestern wieder als modern und modisch gilt und dem Original gehuldigt wird, wenn der Nostalgie gefrönt und die Jagd nach dem Neuen negiert wird, hält die sich rasant verändernde Welt für einen Moment den Atem an. Doch es geht auch anders. Denn die Rückbesinnung kann auch der Ausgangspunkt für eine bislang unbekannte Formensprache sein, in der das Beste von Gestern als Zitat mitschwingt – so wie beim zweiten Jazzfest-Abend in der Brotfabrik, bei dem sowohl das Tobias-Hoffmann-Trio als auch Lucia Cadotschs Formation Speak Low Standards und Evergreens auf ihre Weise interpretiert haben. Was mit etwas Glück durchaus reizvoll sein kann. Oder aber ziemlich ermüdend.

In welche Richtung das Trio um Gitarrist Tobias Hoffmann tendiert, lässt sich gut an einem Albumtitel ablesen: „Eleven famous Songs tenderly messed up“ lautet dieser, und diesen selbstironischen Anspruch verfolgen Hoffmann und seine Kollegen auch heutzutage noch. Genüsslich drehen sie Stücke wie „Voodoo Chile“ oder „While My Guitar Gently Weeps“ durch den Fleischwolf, würzen das Musikhack mit allerlei Effekten und kehren doch immer wieder zu den Originalen zurück, die den Nukleus ihrer Arrangements bilden. Gut so, läuft das Spiel des Trios so doch zu keinem Zeitpunkt aus dem Ruder. Mit diesem Anker im Kopf verlieren sich die Musiker eben nicht in den Weiten ihrer Soli, auch wenn die Ausflüge fernab des Liedes durchaus einige Zeit in Anspruch nehmen können. Vor allem Hoffmann macht sich gerne selbständig, während Bassist Frank Schönhofer, den der Gitarrist schon aus seiner Zeit bei der Bonner Musikschule kennt, die Rettungsleine hält und Etienne Nillesen mit einem überaus reduzierten Set die Spannung aufrecht erhält. Oder es zumindest versucht. Denn während atmosphärisch dichte Stücke wie der „Death Letter Blues“ oder Bruce Springsteens „The River“ von der insgesamt entspannten Stimmung de Trios profitieren, fehlt doch mitunter die stilistische und vor allem rhythmische Bandbreite, um allen Songs gleichermaßen gerecht zu werden.

Andererseits ziehen Hoffmann und seine Kollegen wenigstens immer an einem Strang und stehen alle im Dienst der Stücke. Dies lässt sich für Lucia Cadotschs Trio Speak Low nur bedingt sagen – was Fluch und Segen zugleich sein kann. Denn während die Sängerin bei allen Freiheiten immer dem lyrischen Groove folgt, grätscht Saxofonist Otis Sandsjö konsequent dazwischen. Nur selten spielt er Melodielinien, weitaus häufiger setzt er sein Instrument als Effektmaschine ein, lässt es quietschen und knarzen, klappern und brummeln. Sein Spiel changiert irgendwo zwischen Free Jazz und Elektronika, ist ein permanenter Störfaktor und zugleich eine Reibungsfläche für Cadotsch, die in Sandsjö genau das gefunden zu haben glaubt, was ihr stets gefehlt habe. Mitunter entstehen aus diesem Kontrast durchaus reizvolle Spannungen, bei manchen Liedern wie dem schottischen Traditional „Black is the Color“ wird hingegen jegliche Magie zerschmettert. Da kann dann selbst Bassist Petter Eldh nicht mehr helfen, der in der Regel zu brillieren versteht und als Brückenbauer zwischen Cadotsch und Sandsjö fungiert. Diese Art des Retro-Futurismus, wie erstere die Musik ihres Trios bezeichnet, ist auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig und im Gegensatz zum Spiel des Tobias-Hoffmann-Trios alles andere als nostalgisch. Das Publikum feiert das Konzert aber und zeigt sich überaus begeistert von den alten Titeln in neuem Gewand.


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