Ingmar Stadelmann: Bis über die Schmerzgrenze

Wie weit kann man als Comedian gehen? Satire darf ja bekanntlich (fast) alles, gedeckt durch die Kunst- und durch die Meinungsfreiheit gleichermaßen. Aber gibt es nicht dennoch irgendwo eine Schmerzgrenze, die auch ein Künstler nicht überschreiten sollte? Wie viel kann, muss und will ein Publikum aushalten? Diese Fragen stellt sich Ingmar Stadelmann gerne – und hat sich in seinem nagelneuen Programm „Fressefreiheit“ für einen Feldversuch entschieden. Ein Meinungsstresstest, der im Pantheon einige durchaus interessante Ansätze verfolgt, aber aufgrund mangelnder Konsequenz nicht wirklich abhebt.

Natürlich ist Humor eigentlich eine überaus subjektive Eigenschaft. „Man muss nicht alles lustig finden“, sagt Stadelmann denn auch, „aber man kann.“ Ja, kann man. Ebenso kann man aber auch die Frage stellen, ob es wirklich lustig ist, wenn ein 38-Jähriger auf der Bühne seinen Schwanzzwilling sucht, sich zum Milf-Hunter erklärt und die Differenzen zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel mit Sex zu lösen versucht. Und erst recht sollte man darüber nachdenken, was dies über ein Publikum aussagt, das mehrheitlich über derartig ordinäre Pointen lacht. Womit letztlich der Kern des Stadelmannschen Programms erreicht wäre. Denn natürlich testet dieser ganz bewusst aus, bis wohin er gehen kann, betreibt quasi Marktforschung im Kabarett und schreckt bei seiner Mission vor nichts zurück. Na gut, vor fast nichts. Eigentlich sogar vor einigem. Er verzichtet weitgehend auf direkte Angriffe, auch wenn er der Meinung ist, dass kein Land frei ist, in dem man sich nicht gegenseitig beleidigen kann (das Grundgesetz sieht dies übrigens anders). Er verweigert sich der radikalen Provokation, spielt weder den Rassisten noch den Sexisten, bricht keine Tabus und lässt gerade dadurch seine Zoten einfach nur plump wirken. Wo Serdar Somuncu einst ganz bewusst angefangen hat, mit Hilfe seines Intellekts und einer gnadenlosen verbalen Brachialgewalt auch die tiefsten Abgründe des menschlichen Humors offenzulegen, hört Stadelmann auf und lässt damit die platten Pointen zu den Schwachpunkten seines Programms verkommen.

Gerade dadurch wirkt Stadelmann so, als würde er in der Luft hängen. Die Obszönitäten laufen ins Leere, tun weh, führen aber nicht zu einer Katharsis. Und die ernsthafteren Passagen, die ebenfalls an diesem Abend auftauchen? Die Verhältnisse zwischen Bundesbürgern und Flüchtlingen (1:400), die Diskussion über irrationale Ängste unter Einbeziehung des Publikums, die Ausführungen zur #metoo-Debatte? Sie bleiben nur Fragmente ohne dramaturgische Bedeutung. Schade. Der Meinungsstresstest hätte durchaus mehr sein können. Mit etwas mehr Mut. Und mit deutlich mehr Wucht.

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