„Kollegen“: Generationenzug nach Norddeich-Mole

Das Leben geht weiter, selbst wenn der Zug steht. Und steht. Und steht. Was soll er auch sonst tun? Fahren? Um vielleicht doch irgendwann sein mythisches Ziel Norddeich zu erreichen? Nicht nachdem schon mehrere Generation in diesem ICE geboren wurden. Die Bahn ist längst zur Welt geworden, die Waggons zu Dörfern, die Reisenden zu Niedergelassenen. Was für eine skurrile Dystopie. Aber eine, die aufgeht. Zumindest im Rahmen des brandneuen „Kollegen“-Programms im Haus der Springmaus, das Andreas Etienne, Michael Müller und Andrea Frohn nun erstmals präsentiert haben: Der ebenso überdrehte wie sympathische Bahn-Stillstand fügt sich hervorragend in eine Ansammlung von Sketchen ein, die rund zwei Stunden lang sowohl Geist als auch Zwerchfell anregen und letztlich für einen überaus unterhaltsamen Abend sorgen.

Das „Kollegen“-Team um Regisseur Hans Holzbecher hat für die zweite Auflage ihrer humoresken und musikalischen Nummern-Revue aus dem Vollen geschöpft. Satire, Posse und Zote sind allesamt vertreten, unterbrochen von gelegentlichen Lied-Einlagen, die allerdings öfters mal die Pointen unnötig abschwächen, aus dramaturgischer Sicht irrelevant sind und offenbar nur dazu dienen, die schöne Stimme Andrea Frohns zur Geltung kommen zu lassen. Die bemühte Verballhornung beliebter Hits zu „Probier's mit Hinterfotzigkeit“ und „Beamer“ (statt „Fever“) steht allerdings in ziemlichem Kontrast zu den starken Theaterbeiträgen, die vor allem dann glänzen, wenn sie richtig böse werden. Wenn Müller und Etienne als von Abfindung zu Abfindung springende Top-Manager am Grill über die Bürden des Unternehmertums philosophieren, gnadenlos der Konsumgesellschaft den Spiegel vorhalten und den Zynismus offenlegen, den der Westen mit Blick auf Entwicklungsländer pflegt, ist das Kabarett vom Feinsten. Und auch der Disput im Bauordnungsamt angesichts eines nicht den Bestimmungen entsprechenden Vogelhäuschens hätte nur noch mit der Jagd nach Passierschein A38 getoppt werden können.

Allerdings können nicht alle Sketche am Ende liefern, was sie zuvor mühsam aufgebaut haben. Mitunter bleiben ausgerechnet die Schlusspointen hinter den Erwartungen zurück und lassen die Mini-Stücke in der Luft hängen. Vor allem eine völlig absurde Nummer im Lehrerzimmer, die sich dank einer esoterisch verklärten Hippie-Dame (Andrea Frohn in ihrer besten Rolle des Abends) wie im LSD-Rausch in immer irrsinnigere Sphären schraubt, hätte einen stärkeren Abgang verdient, und auch die Tinderella-Story zu Beginn, bei der Andreas Etienne einmal mehr seine Leidenschaft für weibliche Verkleidungen ausleben kann, wartet mit einem enttäuschend vorhersehbaren und banalen Finale auf. Amüsant sind sie trotzdem, keine Frage, jedoch nicht auf dem Niveau, auf dem sie sein könnten. Klarer und auch weitaus klassischer sind da die (kurzfristig gelösten) Elektriker-Probleme in einem sardischen Haus konzipiert – und die grandiose Auseinandersetzung mit einem finnischen Alkoholtest-Automaten, bei der Michael Müller vollends brilliert, spielt trotz eines stark gekünstelten Deus-Ex-Machina-Moments noch einmal in einer ganz anderen Liga. Diese Beiträge sind es, die die zweite Auflage der „Kollegen“ wirklich sehenswert machen. Abwechslungsreich, witzig und im besten Fall scharfzüngig – so macht Kabarett Spaß!

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