Rockaue: Feuer, Wasser, Einhorn

Flammen schießen in den Abendhimmel, Lichter flackern, Bässe dröhnen. Die Mittelalterrock-Band In Extremo lässt sich nicht lumpen, setzt auf ein Feuerwerk von Effekten, die die Dudelsäcke und Schalmeien, die Nyckelharpa und die E-Gitarren, die Keyboards und den Gesang von Michael Robert Rhein alias Das Letzte Einhorn verzieren. Das perfekte Finale für die inzwischen dritte Rockaue, die mit einigen musikalischen Höhepunkten jedem Fan von Musik der härteren Gangart ein Lächeln entlockt haben dürfte. Besser hätte es kaum laufen können. Wenn da nicht die Zahlen wären.

Denn mit den rund 10.000 Besuchern, die nach offiziellen Angaben auf dem Gelände waren, hat das Festival massive Einbußen zu verzeichnen. 2016 waren es noch 15.000, die den Weg in die Rheinauen gefunden hatten, im ersten Jahr erreichte man gar rund 20.000 Menschen. Irgendwas läuft also nicht rund. Nur was? Am Programm kann es kaum liegen, ist das Line-Up doch in diesem Jahr so stark wie eh und je und sogar weitaus zielgerichteter und rockiger. Und auch die gestiegenen Ticketpreise, mit denen die Veranstalter die Wirtschaftlichkeit des Festivals sicherstellen mussten, sollten eigentlich kein Grund für das Fernbleiben so vieler Musikliebhaber sein – alleine In Extremo kostet normalerweise deutlich mehr als die knapp 30 Euro für die Rockaue.

Skurril ist die Situation auch deswegen, weil die Besucher des Festivals allesamt überaus zufrieden sind. Alles läuft entspannt ab, die überaus präsente Polizei lobt sogar ausdrücklich das friedliche und freundliche Miteinander des Publikums vor den drei Bühnen. Die wiederum haben einiges zu bieten. Während sich auf der Talent Stage lokale und regionale Nachwuchskünstler wie Heldenviertel, Ultraschall und Scherf & Band präsentieren, wird auf der Hauptbühne schon auf einem weitaus höheren Level gerockt. Kyle Gass, der auch zusammen mit dem Schauspieler Jack Black das überaus erfolgreiche Duo Tenacious D bildet, wandelt in Bonn auf Solopfaden und verzaubert das Publikum ebenso wie die Blues Pills, die allerdings wegen Stimmproblemen der Sängerin Elin Larsson nach einer halben Stunde zerknirscht ihren Auftritt abbrechen müssen. Dadurch verlagert sich das restliche Geschehen nach vorne, darunter der grandiose Auftritt von Danko Jones, der herausragende Rocknummern abliefert, seinem Bassisten John Calabrese allerdings einen beträchtlichen Teil der Show-Einlagen überlässt. Egal, macht einfach Spaß. Da könnte sogar David Lang aus Bad Neuenahr noch etwas lernen: Der Deutsche Meister der Luftgitarre hat einen kleinen Slot im Vorprogramm von Kyle Gass ergattert und jagt mit jeder Menge Verve über die imaginären Saiten, wird aber irgendwann ein wenig zu vorhersehbar.

Bleibt noch die dritte Bühne. Die härteste. Die für die Fans von Hard- und Metalcore. Hämmernd, wummernd, drohend wälzt sich eine Soundfront aus den Boxen auf das frenetische Publikum zu, das ausgelassen tobt und springt und auch, trotz eines offiziellen Verbots, immer wieder zum Crowdsurfing ansetzt. Selbst einige Bandmitglieder lassen sich auf Händen tragen, mimen die Rebellen – und sind doch zugleich überaus fürsorglich. Schon Atlin, die als erste Band bereits um 12 Uhr auf der Bühne steht, winkt mit einer Regenbogen- und einer „Refugees Welcome“-Fahne. Musikalisch aggressiv, politisch aber offen und freundlich. Ein Ansatz, den viele Formationen an diesem Tag teilen, darunter Any Given Day und Heisskalt. Die Menge jubelt jedes Mal, wenn ein solches Statement kommt und setzt auch auf diese Weise ein Zeichen für Toleranz. Und dazwischen wird halt gefeiert, trotz oder gerade wegen der Bullenhitze. Die Feuerwehr greift immer wieder zum Wasserwerfer, um dem Publikum ein wenig Abkühlung zu verschaffen, was viele begeistert zu einer ausgiebigen Dusche nutzen. Die Kleider trocknen beim Tanzen schon wieder. Spätestens bei In Extremo, die irgendwann noch Joey Kelly als Überraschungsgast auf die Bühne holen, sowie der kurz darauf einsetzenden Metalcore-Band Callejon. Die Stimmung ist auf dem Siedepunkt, das Publikum glücklich. Jetzt müsste es nur im nächsten Jahr doppelt so stark zurückkehren. Organisatorin Maria Hülsmann will auf jeden Fall weitermachen – wenn sie kann. „Mit der Rockaue erfülle ich mir einen Traum, aber gleichzeitig muss ich auch realistisch sein“, sagt sie. „Als Veranstalter braucht man Geschäftssinn ebenso wie Visionen. Ich hoffe aber, dass wir einen Weg finden, auch 2018 wieder eine Rockaue anbieten zu können.“ Schön wär's.

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