Dieter Nuhr: Angst vor der Herrschaft des Darms

Die Darmbakterien sind an allem schuld. Ja sicher! Forscher wollen schließlich herausgefunden haben, dass dieses Mikrobiom genannte Kollektiv einen beträchtlichen Anteil an der Steuerung des Körpers hat, fast schon eine Art zweites Gehirn darstellt – und wenn man sich so manche Extremisten und Reichsbürger anschaut, scheint das gar nicht weit hergeholt. Zumindest behauptet dies Dieter Nuhr, der im WCCB vor mehr als 3000 Besuchern Aufklärungsarbeit betreibt und vor der Fremdbestimmung warnt. Der durch den Unterleib ebenso wie der durch intelligente Kühlschränke oder einen Staat, der selbst die Sprache reglementiert. Political Correctness? Gender Studies? Ist doch alles für den Darm. Und zumindest Dieter Nuhr wird das ja wohl noch sagen dürfen.

Der Auftritt Nuhrs ist Premiere und Jubiläum zugleich: Ein Jahr lang hat das Haus der Springmaus darum gekämpft, im großen Saal des WCCB eine Kabarett-Veranstaltung machen zu dürfen, und wer wäre dafür besser geeignet als Dieter Nuhr mit seinem George-Clooney-Lächeln und der immensen Medienpräsenz, ein Unterhalter, der wie kaum ein Zweiter massentauglich ist und der der Endenicher Bühne seit nunmehr 30 Jahren verbunden ist. Funktioniert hat es schließlich, doch ob daraus weitere Großtermine entstehen, lässt Springmaus-Chef Andreas Etienne offen. Das Publikum zeigt sich auf jeden Fall begeistert und genießt die charmant vorgetragenen Spitzen Nuhrs sichtlich. Der versteht sich offenbar als Vorkämpfer für die persönliche Freiheit in allen Belangen, wehrt sich gegen linke und rechte Radikale („die will ich bei mir nicht sehen“), gegen Helikoptereltern und gegen das Vollkornbrot mümmelnde Professorix, das sich nachdrücklich dafür einsetzt, dass es in Nordrhein-Westfalen inzwischen keine Verhaltensstörungen mehr gibt, sondern nur noch Verhaltensoriginalität. Alles schön positiv klingen lassen, dann ist es nicht ganz so schlimm: Mit diesem pädagogischen Ansatz kann Nuhr, nach eigenen Angaben „grün-alternativ sozialisiert“, nichts anfangen und rebelliert in einer Mischung aus vermeintlichem Realismus und ideologischem Libertarismus mit Vorliebe gegen alles, was auch nur ansatzweise mit diesem Klischee-Milieu in Verbindung gebracht werden kann.

Dabei hat Nuhr ja in gewisser Hinsicht Recht: Die Regulierung des Deutschen hat längst jegliches vernünftige Maß überschritten und beginnt in der Tat bereits, die Funktion der Sprache an sich aufzulösen. Warum klare Worte verbieten? „Wenn ich ein Haus Haus nenne, grenze ich es von allen anderen Behausungen ab, etwa von einem Zelt“, führt der 56-Jährige aus. Stimmt. Und wenn jetzt jemand auf die Idee kommen würde, den Begriff der Armbanduhr für diskriminierend zu halten, weil es ja auch Menschen ohne Arme gibt, wäre dies absurd – aber gar nicht so unrealistisch, wie man zunächst annehmen möchte. Empfindlich genug sind die Menschen längst. Hier trifft Nuhr, natürlich wie in Comedy und Kabarett üblich fröhlich überzeichnend, einen Punkt. Gleiches gilt für viele andere Aspekte, auch wenn er mitunter ein wenig mehr Tiefgang vertragen könnte und sich mitunter selbst widerspricht. Da trifft dann der Traum von einer gewaltfreien Welt, dem man angesichts klarer Zahlen (700 Tote pro Tag durch bewaffnete Konflikte sind doch ein Klacks) nach Nuhrs Ansicht näher sei als je zuvor, auf das Bild eines verweichlichten Mannes, der dank der beschützten Kindheit zwar erstklassige Zimtsterne backen könne, aber angesichts eines Einbrechers wie ein kleiner Schisser hilflos in der Ecke kauere. Wahrscheinlich sind daran auch die Darmbakterien schuld. Da hilft nur Nuhr. Und vielleicht mal ein bisschen Standfestigkeit im Angesicht eines schwächelnden Stuhls.

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