Michael Wollny: Geniale Zitate zum Summen der Rotoren

Ein virtuoses Trio, das sich blind versteht, genüsslich zwischen allen möglichen Stilen wechselt und dabei doch immer etwas Neues schafft: Für Jazz-Fans ist das Konzert von Michael Wollny, Eric Schaefer und Christian Weber im Bonner Telekom Forum nicht weniger als eine Offenbarung. Für Klassik-Liebhaber auch. Denn mit erfreulicher Leichtigkeit bedienen sich die Drei in ihrem aus alten und neuen Stücken bestehenden Programm regelmäßig bei Komponisten wie Alban Berg, Gustav Mahler oder Paul Hindemith, lassen sich inspirieren, setzen auf Zitate, Anspielungen, Referenzen – und integrieren sie ohne weitere Anstrengung in ihren eigenen Klangkosmos. Adaption in Perfektion.

Dennoch ist das Ergebnis ein ums andere Mal ein echter Wollny, keine Kopie, keine Imitation, selbst als dieser ein Stück seines Tastenhelden Joachim Kühn interpretiert und diesen dabei schon nach den ersten paar Tönen überhaupt nicht mehr als Vergleich hinzuzieht. Ein Genuss sondergleichen, der eindrucksvoll unterstreicht, warum der 35-Jährige zu den wichtigsten Nachwuchskünstlern im Jazz gezählt wird. Und so könnte der Abend kaum besser laufen. Wenn nur die Scheinwerferlüftungen schweigen würden.

Leider sorgen die Rotoren der so genannten Moving Lights, die beim Soundcheck noch unauffällig waren, trotz aller Bemühungen der Techniker vor Ort für eine derart störende Geräuschkulisse, dass sich in der Pause zahlreiche Besucher beschweren. Doch ohne Licht ist auch ein Jazz-Konzert nicht möglich. Schade. So bleibt denn ein Wermutstropfen, eine beständige Irritation. Andererseits gelingt es Wollny und seinen Kollegen durch ihr brillantes Spiel, das Publikum derart in ihren Bann zu ziehen, dass das Flap-Flap-Flap unter der Decke abseits der Pausen beinahe in Vergessenheit gerät. Nicht weniger hat das Trio auch verdient. Herrlich, wie die drei Musiker miteinander harmonieren, sich Bälle zuwerfen, den Gruppensound verdichten und sich dann wieder in Soli ergießen. Wollny, sonst eher schüchtern und in sich gekehrt wirkend, jagt wie ein Derwisch über die Tasten, klettert – ein Markenzeichen des Querdenkers – förmlich in den Flügel hinein, spielt auf den Saiten gerne wie auf einer Zither, webt filigrane Melodien und prescht kurz darauf, etwa in seinem an Mahlers erstes Kindertotenlied angelehnten Stück „Engel“, in Richtung Rock davon. Auch Drummer Eric Schaefer wechselt ein ums andere Mal die Richtung, akzentuiert etwa „Be free, a way“ der Indie-Band „The Flaming Lips“ zuerst als atmosphärische Nummer, bevor er sich dem Bebop öffnet. Bassist Christian Weber (der Ersatz für Tim Lefebvre, der wiederum auf dem aktuellen Wollny-Album „Weltentraum“ die in Babypause befindliche Eva Kruse vertritt) dient derweil als Konstante, als Puls, als der verlässlich groovende Mittelpfeiler, der selbst die extravagantesten Exkursionen seiner beiden Flügelmänner stabilisiert.

Es sind die Wechselwirkungen, die dieses Konzert zu etwas so Besonderem machen: Die Dialoge zwischen den Musikern, aber vor allem die Spannungen zwischen den einzelnen Puzzlestücken, die so unterschiedlich scheinen und sich doch nahtlos zu einem großen Ganzen zusammenfügen. Alles ergibt einen Sinn; jeder neue Ansatz, jede rhythmische 180-Grad-Wende generiert nicht etwa einen Fremdkörper, sondern eine Erweiterung der ursprünglichen Idee. So schafft Wollny eine Art musikalisches Panorama, das gerade in den Brüchen, in dieser Vielschichtigkeit fasziniert. Und das Summen der Rotoren zur Nebensache degradiert. So wie es sein soll.

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