London Symphony Orchestra: Abschluss mit Jubel und Fragezeichen

Ein fantastischer Klang erfüllt die bis auf den letzten Platz gefüllte Beethovenhalle. Voll, warm und herrlich differenziert ertönt die dritte „Fidelio“-Ouvertüre von Bonns bedeutendstem Sohn, mit dem das London Symphony Orchestra (LSO) unter John Eliot Gardiner das Abschlusskonzert des diesjährigen Beethovenfests eröffnet und einmal mehr beweist, warum es eines der besten Orchester der Welt ist. Dieses geschickte Setzen von Akzenten und vor allem diese Spannung, die selbst in den pianissimo-Passagen in der Luft liegt, sorgen bei dem Werk, das die Handlung des „Fidelio“-Dramas in groben und doch zugleich so eingängigen Zügen umreißt, für einen Genuss sondergleichen.

Und das ist erst der Anfang. Als für die beiden Vertonungen der Goethe-Gedichte „Meeres Stille“ und „Glückliche Fahrt“ mit den so gegensätzlichen Tempi und den hohen Ansprüchen an die Dynamik der Monteverdi-Chor hinzukommt, der dem LSO in nichts nachsteht, eröffnen sich dem Publikum noch einmal neue Dimensionen des Hörens.

An diese emotional geballten und dicht komponierten Beethoven-Werke kann Felix Mendelssohn Bartholdys symphonische „Lobgesang“-Kantate nicht ganz nahtlos anschließen. Das mag an dem mitunter etwas ermüdenden romantisierenden Duktus liegen oder an der eleganten, aber auch komplexen Synthese aus Kirchen-, Opern- und Orchestermusik, die zwar durchaus eindrucksvoll ist und zu Recht begeistert empfangen wird, aber nicht jene emotionale Tiefe der ersten Programmhälfte aufweisen kann. Bravourös übrigens auch die Sopranistin Lucy Crowe und vor allem der ausdrucksstarke, natürlich wirkende Tenor Patrick Grahl – Jurgita Adamonyté, von deren weicher Stimme man gerne mehr hören würde, kommt leider nur in einem Duett zum Zuge. Das Publikum ist von der Aufführung dementsprechend elektrisiert und spendet frenetischen Applaus.

Das grandiose Finale des Beethovenfests kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Festival zunehmend Probleme zu haben scheint, die Bevölkerung zu berühren. Eine Auslastung von etwa 70 Prozent ist auf den ersten Blick ein stabiler Wert, im Vergleich zu den Vorjahren (87 Prozent in 2014 und 2015) jedoch eine Katastrophe. Nur ein Drittel der 59 Konzerte im Hauptprogramm waren offiziell ausverkauft (was allerdings nicht viel heißt, wie schon die diversen leeren Plätze beim Eröffnungskonzert zeigten), auch das ein drastischer Rückgang. Vor allem aber fand das Beethovenfest zwar in den Spielstätten statt – nicht aber in der Stadt selbst. Dort spürte man abgesehen von ein paar wehenden Flaggen nichts von dem größten Kulturfestival Bonns, das doch eigentlich in die Welt hinausstrahlen und auf das noch immer aktuelle und relevante Erbe Beethovens aufmerksam machen will. Stattdessen Stille. Während Institutionen wie das Theater Bonn sich zunehmend der Stadt öffnen, um die Menschen dort anzusprechen, hat sich Beethovenfest-Intendantin Nike Wagner in einer völligen Abkehr vom Kurs ihrer Vorgängerin Ilona Schmiel wieder in den Elfenbeintürmen eingeigelt. Keine Frage, ihr Programm hatte Liebhabern klassischer Musik einiges zu bieten – doch gerade mit Blick auf das große Beethoven-Jubiläumsjahr 2020, in dem eine Identifikation Bonns mit dem großen Komponisten eine unerlässliche Basis sein muss, scheint ihr Weg nicht wirklich zielführend zu sein. Auch die Entscheidung, ausgerechnet am Tag der Deutschen Einheit das Motto „Revolutionen“ auszublenden und einen spielfreien Tag einzulegen, erscheint angesichts der genannten Diskrepanzen fragwürdig. Allerdings passt es zu der von Wagner betriebenen Profilbildung, die Fragen der Massentauglichkeit bewusst außen vor lässt.

Immerhin hat Nike Wagner schon jetzt das Motto für die kommende Spielzeit vorgestellt: Um die „Ferne Geliebte“ herum soll das Beethovenfest 2017 (8. September bis 1. Oktober) auf sanften Pfaden wandeln. Bekannt ist bereits, dass das Mariinsky-Orchester den Auftakt und die Bamberger Symphoniker den Abschluss gestalten werden. Aufgrund der Sanierung der Beethovenhalle werden die großen Konzerte im WCCB stattfinden – wie gut das in einem nachträglich konzerttauglich gemachten Kongresssaal funktioniert, wird sich zeigen. Die Kosten für den Umbau betragen immerhin rund 2,5 Millionen Euro.

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