Tschechische Philharmonie: Große und kleine Revolutionen

Die Namen können sich hören lassen: Die Tschechische Philharmonie unter Jiří Bĕlohlávek und die amerikanische Star-Geigerin Hilary Hahn haben am vergangenen Freitag in der Bonner Beethovenhalle das Beethovenfest 2016 offiziell eröffnet. Klanglich ein Auftakt nach der Maß, wenn auch programmatisch lediglich eine vorsichtige Annäherung an das Thema des diesjährigen Festivals. Denn weder Beethoven noch irgendwelche Revolutionsgedanken spielten an diesem Abend eine große Rolle, blieben zunächst nur Schlagworte in den Reden von Oberbürgermeister Ashok Sridharan, NRW-Kulturministerin Christina Kampmann und Beethovenfest-Intendantin Nike Wagner.

Andererseits hat dieser Fokus auf eine Vorstufe oder eine Auswirkung einer möglichen großen Umwälzung, der sich in György Ligetis „Concert Romanesc“ ebenso verordnen lässt wie in Mozarts „Türkischem Konzert“ und Viktor Ullmanns „Don Quixote tanzt Fandango“, durchaus seine Berechtigung. „Revolutionen wollen den Wandel beschleunigen und dem Wunsch nach Veränderung gerecht werden“, sagte Sridharan in seiner Eröffnungsansprache und verknüpfte damit die Mottos der vergangenen drei Beethovenfeste. Und Veränderungen und Neuerungen fanden sich im Programm des Abends durchaus zu Genüge.

Schon Ligetis „Rumänisches Konzert“ steht in mehrerlei Hinsicht für einen Aufbruch. Ähnlich wie sein Landsmann Béla Bartók von der lokalen Bauernmusik beeinflusst, stellte das Frühwerk (es entstand vor der Zuwendung Ligetis zur elektronischen Musik) einen Bezug zum nationalen Erbe her, die der 1951 noch herrschenden kommunistischen Kulturadministration der sowjetischen Besatzungsmacht offenbar ein Dorn im Auge war – sie verbot das Konzert kurzerhand. In der Beethovenhalle zeigte sich am Freitag die Strahlkraft des Werkes, zumal das Orchester mit offensichtlichem Gusto sowohl die idyllisch-pastoralen Klangmalereien als auch die schwungvollen Tanz-Passagen bravourös spielte. Eine ähnliche Souveränität zeigten die tschechischen Streicher im Anschluss bei Mozarts Violinkonzert in A-Dur mit dem immer wieder überraschenden Einschub türkischer Harmonieelemente ausgerechnet in dem eigentlich formal strengen Menuett. Hilary Hahn erwies sich dabei als die perfekte Solistin, klar im Ton und gefühlvoll im Spiel, ebenso warm wie brillant. Die eindringliche, durch eine große Bildhaftigkeit ausgezeichnete Ouvertüre „Don Quixote tanzt Fandango“, die der von Nazis ermordete Viktor Ullmann 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt schrieb (auch er also Opfer eines – in diesem Falle schrecklich negativen – Wandels) war ebenfalls eine starke Ergänzung des Programms; den Abschluss gestalteten die Tschechischen Philharmoniker schließlich mit den Dvořák-Ouvertüren op 91-93, die Natur, Karneval und den Othello-Stoff miteinander verbanden.

Einen Monat lang stehen in Bonn nun alle Zeichen auf Klassik. Im Mittelpunkt stehen dabei thematisch die beiden großen Revolutionen in Russland und Frankreich, so dass unter anderem das Ural Philharmonic Orchestra mit der Kantate zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution von Sergej Prokofjef sowie das Orchestre National du Capitole de Toulouse mit Werken von Hector Berlioz zu hören sein werden. Das Bayerische Staatsorchester und das London Symphony Orchestra sind als weitere hochkarätige Klangkörper zu nennen. Den Revolutionsgedanken tragen derweil Künstler wie die türkische Pianistin Seda Röder weiter, die mit „Songs of Spring“ auf den arabischen Frühling referiert. Kammermusik, Jazz und Tanz runden das Programm ab, das unter der Intendanz von Nike Wagner anspruchsvoller denn je ist. Ob dies allerdings der richtige Weg in einer Zeit ist, in der der Brückenschlag zwischen Klassik und populärer Musik auch angesichts eines schwindenden Rückhalts in gewissen Gesellschaftsschichten wichtiger denn je scheint, sei dahingestellt. Auffallend war bei der Premiere zumindest eins: Zwar war das Konzert offiziell ausverkauft – mehr als nur ein paar freie Plätze im Saal sprachen allerdings eine andere Sprache.

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