„Evita“: Die Machtgier einer Heiligen

Nett? Nein, Evita ist nicht nett. Sie ist kein Engel, keine Heilige, ist in dem gleichnamigen Musical von Andrew Lloyd Webber und Tim Rice alles andere als eine Sympathieträgerin. Aber sie ist in ihrem Streben nach Macht und Ruhm dennoch ungeheuer interessant. Eine komplexe, vielschichtige Figur, deren Lebensgeschichte einen reizvollen Auftakt in die neue Spielzeit des Theater Bonn bietet. Bei der Premiere am vergangenen Sonntag setzte das Ensemble von Regisseur Gil Mehmert die Geschichte um die einstige Präsidentinnengattin und argentinische Nationalheldin Eva Perón überzeugend in Szene – allen voran die überragende Bettina Mönch in der Titelrolle.

Es ist eine bemerkenswerte Wandlung, die Evita durchmacht: Vom leichten Dorfmädchen über den einen Mann nach dem anderen verschlingenden und für ihren sozialen Aufstieg nutzenden Vamp bis hin zur Frau an der Seite des Präsidenten. Bettina Mönch gelingt es, all diese Facetten detailliert auszudifferenzieren, nicht nur schauspielerisch sondern auch gesanglich. Vor allem in der zweiten Hälfte zeigt sich die Tiefe, die die 35-Jährige ihrer Rolle verleiht. Die auf dem Höhepunkt ihrer Macht stehende Evita klingt tatsächlich gereift und noch weitaus berechnender als während ihrer frühen Jahre in Buenos Aires – bis der Krebs sie schwächt. Diese Zerbrechlichkeit, dieses Dahinsiechen und das gleichzeitige Festhalten an der Macht vermittelt Bettina Mönch einfach meisterhaft, mit bemerkenswerter Intensität und atemberaubender Stimme. Parallel dazu wächst auch David Jakobs als Erzähler und Kommentator Che: Er, der große Kritiker Evitas in der von einer anti-perónistischen Biographie geprägten Bühnenhandlung, dessen Funktion im Musical nicht umsonst eine gewisse Ähnlichkeit mit der Rolle des Judas in „Jesus Christ Superstar“ aufweist (was Mehmert vor zwei Jahren mit Jakobs in Bonn inszenierte), entwickelt erst im Laufe der Vorstellung die nötigen Konturen, erweist sich dann aber als souveräner Gegenpart. Dagegen wirkt Mark Weigel als Juan Perón bis zum Schluss seltsam farblos.

Im Gegensatz zu späteren Musicals Andrew Lloyd Webbers wie etwa „Cats“ erweist sich „Evita“ sowohl inhaltlich als auch musikalisch als durchaus sperrig und anspruchsvoll. Insbesondere der Sprechgesang, der abseits der großen Lieder wie „Don't Cry For Me Argentina“oder „Another Suitcase in Another Hall“ immer wieder zum Einsatz kommt, ist rhythmisch extrem fordernd und wird durch die deutsche Übersetzung nicht gerade einfacher. Umso irritierender ist die Teilung der Live-Band, die im Hintergrund auf zwei Podesten links und recht der Bühne residiert, so dass das Dirigat via Videoscreen übermittelt werden muss – was zwangsläufig zu winzigen, mitunter aber doch spürbaren Problemen mit dem Timing führt. Ausgerechnet die Blechbläser sitzen separat vom musikalischen Leiter Jürgen Grimm und vom Schlagzeug, so dass einige wichtige Akzente einfach nicht auf dem Punkt sein können. Schade, zumal sich so auch die Sänger entscheiden müssen, wo sie ihre textlichen Schwerpunkte setzen. Das Ergebnis ist zumindest bei genauerem Hinhören somit ein wenig chaotisch, so sehr ich auch die einzelnen Akteure bemühen, dies zu verhindern.

Insgesamt ist die Bonner „Evita“ dennoch sehr interessant. Einige Regieeinfälle eröffnen neue Blickwinkel (so sieht man sowohl Perón als auch Evita bei ihren großen Ansprachen zunächst von hinten, ist nicht etwa Teil des Volks, sondern erblickt Backstage die Mechanismen der Macht), die Figuren bleiben konsequent ambivalent, und mit Bettina Mönch, die im Oktober parallel in der selben Rolle in Wien zu sehen sein wird, hat das Theater Bonn die perfekte Besetzung für diese komplexe Rolle gefunden. Das Publikum schenkte ihr, David Jakobs und dem gesamten Ensemble bei der Premiere dementsprechend großen Applaus und stehende Ovationen.

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Kommentare: 1
  • #1

    arschgeige (Dienstag, 24 Oktober 2023 11:52)

    es ist nicht gut gemacht alles flasch