Frank Turner & The Sleeping Souls: Springen im Dunkeln

Verkehrte Welt: Ausgerechnet das stärkste, leidenschaftlichste, energiegeladendste Konzert der bisherigen KunstRasen-Saison weist die geringsten Besucherzahlen auf. Nur etwa 600 Fans waren zu Folk-Punker Frank Turner gekommen, dessen Auftritt durch die Veranstalter kurzfristig ins Brückenforum verlegt worden war. Eine nicht ganz unumstrittene Entscheidung, die aber angesichts der phänomenalen Stimmung im Saal letztlich nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Ja, im Sonnenschein wäre es natürlich noch etwas schöner gewesen, aber auch im Dunkeln ist gut Springen. Vor allem bei dieser Musik. Denn was Turner und seine äußerst wachen Sleeping Souls an diesem Abend abfeuern, ist mit „atemberaubend“ nur unzureichend zu beschreiben. Der „Campfire Punkrock“ des Briten, der irgendwo zwischen den Pogues und Billy Bragg verordnet werden kann, lodert von der ersten Sekunde an wie ein Leuchtfeuer, dessen Flammen jeden in ungehemmte Euphorie versetzen. Das ist Ton gewordene Leidenschaft. Herrlich!

Eigentlich hat Frank Turner ja schon vor vier Jahren bewiesen, wie schnell er Menschen begeistern kann – damals war er einer der Überraschungsgäste bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele und elektrisierte Millionen. Die Ausstrahlung des 34-Jährigen ist seitdem nur noch stärker, seine Songs noch differenzierter geworden, ohne allerdings abzuheben. Nein, ehrlich und erdig muss sie schon bleiben. Das wirkt. Von der ersten Sekunde des grandiosen Openers „I Still Believe“ an hat Turner die Menge fest im Griff, bezieht sie immer wieder in die Songs ein, lässt sie tanzen, toben und vor allem singen. Wenn schon mal ein Chor da ist, der seine Sache zur Freude Turners auch noch richtig gut macht, sollte man den auch nutzen. Etwa bei „Glorious You“, wo so auf den im Keyboard eingesperrten Frauengospelchor verzichtet werden kann. 100 Prozent live, das ist Turner ohnehin wichtig. „Playback ist doch Bullshit“, sagt er mit Blick auf so manche Pop-Sternchen, die damit große Hallen füllen. Dann doch lieber ne Nummer kleiner. Und wenigstens authentisch bleiben.

Ohnehin zeigt Turner ganz offen, wo er herkommt. Der Hardcore-Punk, dem er sich zu Beginn des Jahrtausends gewidmet hatte (und den er mit einem Nebenprojekt noch immer gerne pflegt), schimmert das ein oder andere Mal durch, zeigt sich in rotzig-krachenden Gitarrenriffs und wild nach vorne preschenden Drums, die bei allem Druck erfreulicherweise nicht Melodie, Harmonie und Poesie unter sich begraben. Ganz im Gegenteil lässt er es mitunter bewusst ein wenig ruhiger angehen: Auf Wunsch einiger Fans holt er in einem kleinen Solo-Block das sonst nur selten gespielte „Redemption“ hervor, und auch „Josephine“ erhält einen gefühlvollen Balladen-Anstrich, der dem sonst rockigen Song sehr gut steht. „Ich suche immer wieder nach neuen Wegen, um meine Stücke zu spielen“, sagt Turner dazu. Gut so. Nur nicht stehenbleiben und sich auf irgendwelchen imaginären Lorbeeren ausruhen. Sondern immer weitermachen und die eigene Musik ständig reflektieren und definieren. Dann bleibt es wenigstens Kunst und wird nicht Routine. Und genau das ist es, was Frank Turner ausstrahlt. Dieses Feuer. Diese Lust. Dieser Spaß an jeder einzelnen Note. Schöner kann ein Konzert kaum werden. Na gut – beim nächsten Mal wären vielleicht ein paar mehr Leute eine gute Idee. Und eine Verlagerung auf eine Bühne unter freiem Himmel. 

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